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Herr Kummer gibt Antwort
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Lieber Herr Kummer, als Vater einer frisch eingeschulten Tochter verwende ich gern und häufig eine geschlechtergerechte Sprache. Mir gefällt die Vorstellung, dass das so genannte „gendern“ ihr vielleicht einmal Türen leichter öffnen wird. Zunehmend gerate ich deshalb in Diskussionen, die damit enden, dass ich wohl auch Winnetou erschießen wollen würde. Selbst unsere Sozial- und Kulturbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky spricht sich öffentlich gegen eine geschlechtergerechte Sprache aus. Ist das „Gendern“ also zum Scheitern verurteilt?
Auf Facebook vermeldete kürzlich unser CDU-Landtagsabgeordneter Peter W. Patt stolz, er habe eine komplette Sammlung der Karl May-Bücher und alle Winnetou-Filme und er suche rechtliche Beratung für eine nun wohl fällige Selbstanzeige. Obwohl ihm niemand seine verstaubten Schätze wegnehmen möchte, kommt er sich offensichtlich wie ein Rebell gegen einen vermeintlich übermächtigen Zeitgeist vor, den er nicht verstehen kann oder will.
Allerdings gibt es keinerlei Verbote von Herrn Patts Lieblingsbüchern und -filmen. Auslöser dieser aufgeblasenen Scheindebatte waren Kinderbücher mit dem Titel „Der junge Häuptling Winnetou“ sowie das dazu gehörende Merchandising. Der Ravensburger Verlag hat diese Produkte aus seinem Sortiment genommen, weil es viel Kritik an der klischeehaften und romantisierenden Darstellung indigenen Lebens in dieser Buchreihe gab. Bei den gestoppten Artikeln handelt es sich um Lizenztitel – ein Kinderbuch ab acht Jahren, ein Erstleser-Buch, ein Puzzle und ein Sticker-Buch. Ist Herr Patt jetzt eingeschnappt, weil er versäumt hat, sich rechtzeitig das Puzzle und Erstleser-Buch vom „ jungen Häuptling Winnetou“ zu bestellen?
Bei der Gelegenheit darf auch erwähnt werden, dass die Winnetou-Filme aus der Karl May-Reihe nicht, wie von einigen Wutbürgern behauptet, kürzlich von der ARD aus dem Programm geworfen worden sind. Schlicht auf Grund abgelaufener Lizenzen hat die ARD die Filme seit 2020 nicht mehr im Programm. Allerdings verfügt das ZDF weiterhin über die Filmrechte und strahlt die Schinken auch aus. Am 3. Oktober um 11.30 Uhr gibt es zum Beispiel den Klassiker „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ zu sehen.
Ob unsere Kultur- und Sozialbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky um diese Zeit vor dem Fernseher sitzen wird, wissen wir nicht. Etwas Entspannung könnte ihr sicher guttun, denn die Wogen schlugen kurzzeitig hoch, als sie sich ausgerechnet bei einer Rede zum Christopher Street Day in Chemnitz gegen das Gendern und vermeintliche „Wortungetüme“ aussprach. Möglicherweise nuschelte sie ungeschickt ins Mikrophon oder wurde falsch übersetzt, denn nach Auskunft von Tag24 klingelte bei CSD-Organisator Robert Lutz kurze Zeit später das Telefon. "Die Bürgermeisterin erklärte, dass sie nicht gegen das Gendern wäre, und entschuldigte sich, dass ihre Rede falsch angekommen sei.“
Wie auch immer, da wollen wir lieber nicht weiter Nachbohren. Das Gendern ist durch diesen Ausrutscher jedenfalls nicht bedroht. Ob es gefällt oder nicht, Sprache verändert sich mit der Zeit, wie jedes andere System auch. Eine lebendige Sprache ohne Entwicklung gibt es nicht und das Gendern ist ein Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit. Es sorgt dafür, dass die weibliche Hälfte der Gesellschaft nicht länger sprachlich ausgegrenzt werden kann. Wer Angst vor Veränderung, Machtverlust und Unsicherheit hat, darf weiterhin Fräulein zu unverheirateten Frauen, Schutzmann zum Polizisten oder Backfisch zum Teenager oder Fernsprecher zum Handy sagen. Niemandem wird etwas weggenommen, keiner wird ins Gefängnis gesteckt, so zu reden ist nur ein bisschen lächerlich, altmodisch und aus der Zeit gefallen.
Foto: Alexander Grey