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Bus der Geschichte

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Bus der Geschichte

„wir warten auf den bus

und sitzen längst drin

im bus der geschichte

fahren mit höchstgeschwindigkeit durch die gegenwart

nehmen die vergangenheit nur verschwommen wahr

als ob die scheiben beschlagen wären

milchglasscheiben, denen drinnen und draußen egal ist

weil man doch eh nicht recht durchschaut

weil das doch alles schon so lange her ist

und weil einige sagen, das müsse doch endlich auch einmal vorbei sein

aber geschichte ist eben nicht einfach mal vorbei“

Michael Helming, 2006, zum Mahnmal Weissenau für die Opfer der Euthanasie-Aktion 1940/41

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Geschichte ist vor allem dann nicht vorbei, wenn sie in der Gegenwart noch immer so präsent ist. Egal wohin wir schauen, wohin wir gehen oder ob wir versuchen, uns davor zu verstecken, in jedem Zentimeter steckt Geschichte und selbst an den sonnigsten Tagen dominieren ihre Schatten.

So wurde auch Chemnitz Schauplatz einer der schlimmsten Verbrechen der deutschen Geschichte. Straßen, die wir heute noch täglich befahren, boten Infrastruktur für die Grauen Busse, die auf dem Weg dahin waren, menschliches Leben, das der nationalsozialistischen Rassenhygiene zum Opfer fiel, zu vernichten

Das große Reha-Gelände an der Grenze zum Crimmitschauer Wald ist bereits über 100 Jahre alt und schreibt eine lange Geschichte. 1905 wurde es als „Königlich-Sächsische Landeserziehungsanstalt für Blinde und Schwachsinnige“ gegründet und zielte ebenso wie heute darauf ab, eine bestmögliche Ausbildung für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. So wurden in der damaligen Blinden Abteilung Berufe wie Klavierstimmer:in, Korbflechter:in oder Borstenmacher:in gelehrt, die auch heute noch angeboten werden.

Ein sehr grausames Kapitel der Einrichtungsgeschichte schrieben die Jahre 1933 bis 1945. Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen wurden deutschlandweit systematisch zwangssterilisiert oder in Gaskammern ermordet. So auch „schwachsinnige“ Zöglinge (wie man die Schüler:innen der Einrichtung damals nannte) aus Chemnitz-Altendorf. Gesetze wie das „Gesetz zur Verhütung Erbkranken Nachwuches“, boten Rechtsgrundlage und erlaubten diese Gräueltaten.

Zum Alltag zwischen Leben und Tod der Zöglinge gehörten zunächst stetige Kürzungen des Unterrichts, da man diese als „nicht bildungsfähig“ einstufte und später die Einführung einer Sonderkost - ein nährstoffarmer Brei aus billigen Lebensmitteln, für die, die als arbeitsunfähig galten, um sie anschließend auf der Pflegestation zu verwahren.

Im Laufe der Jahre wurden die Lebensumstände der Zöglinge immer grausamer. Ab 1940 entschied ein „medizinischer Gutachter“ in Berlin durch die „Aktion T4“, basierend auf verpflichtenden Meldebögen der Heil-und Pflegeanstalten, ob ein Mensch mit Behinderung lebenswürdig ist oder nicht. Diejenigen, die durch das Todesurteil gekennzeichnet wurden, kamen auf die Passagierlisten der Grauen Busse, um sie anschließend in Pirna-Sonnenstein und anderen Tötungsanstalten zu vergasen. Organisiert wurde das von der Tarnorganisation „Gemeinnützige Krankentransportsgesellschaft“. Dabei ließen Zehntausende und mehr Menschen ihr Leben. Mindestens 243 davon aus Chemnitz.

Die zum Weiterleben-ausgewählten Zöglinge (Blinde und arbeitsfähige „Schwachsinnige“) blieben nach Schließung der Pflegeabteilung durch die „Aktion T4“ in Chemnitz-Altendorf. Freiflächen wurden in den folgenden Jahren unter anderem als Fürsorgeeinrichtungen und Lazarett genutzt.

Heute ist die SFZ Förderzentrum gGmbH ein modernes Unternehmen mit langer Tradition, das für Inklusion, Vielfalt und Toleranz steht, mit dem Ziel, gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf, insbesondere für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung, zu ermöglichen.

„Bislang scheint es so, als würde die deutsche Nazi-Vergangenheit und die Verbrechen zu gering ins Zentrum unserer Stadtgeschichte gerückt.“, beklagt sich das Projektteam der Grauen Busse.

Erstmals setzte sich das Unternehmen vor 20 Jahren aktiv mit den Krankenmorden der Nationalsozialisten auseinander. So entstanden das Denkmal GEDENKEN und eine Sonderausstellung im Schloßbergmuseum. Später wurde ein eigens zur Aufarbeitung erstelltes Team entwickelt, das 2021 das Projekt „Unantastbar Mensch“ ins Leben rief. Angebote zur Demokratieförderung mit Bezug auf die lokale Geschichte. Dadurch wird deutlich, wie das Förderzentrum die eigene Geschichte annimmt, sie am Leben hält und für Transparenz einsteht.

„Jeder, der im Unterricht aufgepasst hat, weiß dass die Krankenmorde ein großer Bestandteil der NS-Geschichte sind, dass diese aber auch Menschen aus Chemnitz betraf, tritt dabei fast nicht auf.“ heißt es seitens der Projektleitung. Aus diesem Grund ist eine enge Zusammenarbeit mit Chemnitzer Schulen im Aufbau, um eine Bewusstmachung unserer eigenen Stadtgeschichte zu fördern.

In der unermüdlichen Aufarbeitung und als Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr, zieht in diesem Jahr ein neues Projekt auf das Gelände des SFZ. Seit 2006 fährt das mobile „Denkmal der Grauen Busse“ quer durch Deutschland und rückt durch die Entwickler und Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz die Routen und Schauplätze der

Krankenmorde ins Zentrum unseres heutigen Bewusstseins. Nun macht es auch halt in Chemnitz. Das Mahnmal, ein grauer Bus aus Beton wird in der Haltestelle vor dem Förderzentrum für ein Jahr stehen und dann weiterfahren. Damit möchte man die Möglichkeit bieten, sowohl die Opfer zu ehren als auch auf die Bedeutung von Inklusion und demokratischen Werten hinzuweisen.

Am 27.01.2025 wurde dieses Denkmal eingeweiht und in den kommenden Monaten von verschiedenen Veranstaltungen und einer zweiteiligen historischen Wanderausstellung begleitet.

Noch tiefere Einblicke rund um die Geschichte, Arbeit und Projekte der SFZ Förderzentrum gGmbH erhaltet ihr unter:

https://www.unantastbarmensch.de/

https://www.sfz-chemnitz.de/

Instagram: sfz.foerderzentrumggmbh

Text: Paula Thomsen / Bild: Hoheisel und Knitz

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