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Das Chemnitzer Schulmodell beweist seit 25 Jahren, dass ein anderes Lernen erfolgreich sein kann. Doch dieser Erfolg hat eine Kehrseite: Die Nachfrage übersteigt die Kapazität mittlerweile deutlich.
In unserer Gesellschaft kann sich jeder selbst für eine Schulform entscheiden. Für eine „normale“ staatliche Schule oder für freie Schulen wie Waldorf oder Montessori. Freie Schulen verlangen aber meist ein Schulgeld, die Entscheidung wird also abhängig vom Geldbeutel.
1990 wurde in Chemnitz noch ein dritter Schulweg geschaffen: das Chemnitzer Schulmodell, kurz CSM. Dabei handelt es sich um eine staatlich finanzierte Schule, die jedoch nach eigenen Grundsätzen agieren kann. So bleiben die Schüler zum Beispiel von der 1. bis zur 10. Klasse im Klassenverband zusammen, die Grundschule geht nahtlos in die Oberschule über. Doch auch die pädagogische Idee unterscheidet das CSM von anderen Schulen. Die Schule beschränkt sich nicht auf einzelne reformpädagogische Ansätze, sondern kombiniert diese, denn gerade durch die Mischung können Methoden passend zur Situation angewendet werden. „Wir gehen davon aus, dass Kinder von sich aus lernen wollen – und das versuchen wir so lange wie möglich zu erhalten“, erklärt Schulleiter Jens Berger sein großes Ziel. Mit dieser Philosophie agierte die Schule bisher durchaus erfolgreich.
Unterricht mit Ausnahmegenehmigung
Die Ergebnisse können sich sehen lassen. 80 Prozent der Schulabgänger wechseln nach der 10. Klasse und dem Erlangen des Realschulabschlusses auf ein Gymnasium. Jens Berger ist der Meinung, dass das vor allem daran liegt, dass die Schüler wissen, warum sie lernen. Die Lust am Lernen soll nicht durch übermäßigen Druck auf die Schülerinnen und Schüler leiden. Was für die Schülerschaft gilt, ist für die Lehrerschaft leider eine frommer Wunsch. „Wenn wir keine Top-Prüfungsergebnisse hätten, gäbe es uns schon lange nicht mehr“, so Berger. Noch immer arbeitet das CSM mit einer befristeten Ausnahmegenehmigung, wodurch es sich in einer permanenten Rechtfertigungssituation befindet.
Trotz der Erfolge und der unmissverständlichen Anerkennung durch die Forschungsgruppe Schulevaluation der TU Dresden ist eine Ende des Modellcharakters nicht in Sicht. Über die Gründe kann man spekulieren: Eine Anerkennung des CSM als den anderen staatlichen Schulen gleichwertige Bildungseinrichtung würde, so wohl die Angst, die sprichwörtliche Büchse der Pandora öffnen. Plötzlich könnten sich überall in Sachsen Schulen auf diese Unterrichtsform berufen wollen. Für das seit fast 25 Jahren von der CDU geführte sächsische Bildungsministerium offenbar eine Horrorvorstellung. Doch der Erfolg des CSM hat noch eine weitere Schattenseite: Es ist schlicht zu begehrt geworden.
Mehrheit der Bewerber bleibt draußen
Der Erfolg spricht sich natürlich herum. Momentan lernen 466 Schüler in der Modellschule. Doch immer mehr Eltern bewerben sich um einen der raren Schulplätze für ihr Kind. Allein in diesem Jahr gingen über 100 Bewerbungen ein. Jeder Jahrgang umfasst zwei Klassen, sodass nur etwa 50 Kinder pro Jahr eingeschult werden können. Etwa die Hälfte der zu vergebenden Plätze ist dabei schon durch die sogenannte Geschwister-Regelung vergeben. Über den Rest entscheidet das Los.
Dennoch: „Wir werden nicht dreizügig“, verspricht Berger, dies würden die Räumlichkeiten des Schulgebäudes nicht zulassen, auch die Kapazitäten von Verwaltung und Lehrern wären überschritten. Eine Expansion durch das Schaffen von Zweigstellen ist laut Berger ebenfalls unrealistisch. Zum einen würden das die zuständigen Behörden kaum zulassen und zum anderen gäbe es inhaltliche Hürden. „Die Schule ist in ihren jetzigen Zustand hineingewachsen und nicht einfach eins zu eins übertragbar“, sagt der Schulleiter.
Noch eine gute Schule?
Die abgelehnten Eltern müssen sich nun entweder mit einer „normalen“ staatlichen Schule arrangieren oder das Schulgeld für eine der freien Schulen berappen. Viele Eltern erboste diese Alternativlosigkeit in den letzten Jahren. Doch der Unmut setzte auch kreative Kraft frei: So entstand die Arbeitsgruppe „Gute Schule“, aus der schon bald ein Verein werden soll. Sie besteht aus etwa 20 Leuten, die sich zum einen mit pädagogischen Konzepten befassen und herauszufinden versuchen was eine„Gute Schule“ eigentlich ist. Diese sollte ganz ähnlich funktionieren wie das CSM, wenn auch mit leichten methodischen Abweichungen und ohne den Modellcharakter.
Laut Arbeitsgruppenmitglied Marko Rösler, selbst vierfacher Vater, wird die Stadt in den nächsten Jahren nicht umhin kommen, neue Schulen zu eröffnen, da die vorhandenen Einrichtungen an ihre Grenzen stoßen werden. Dank steigender Geburtenzahlen wird der Bedarf an Grundschulplätzen künftig zunehmen. Außerdem wächst auch die Bereitschaft der Eltern, sich mit den Themen Schule und Lernmethoden auseinanderzusetzen. Die Gruppe „Gute Schule“ betreibt deshalb intensive Elternarbeit und versucht Mitstreiter für die Idee zu gewinnen.
Zuspruch wächst
„Wir wollen nun den Stadtrat davon überzeugen, dass wenn eine neue Schule in Chemnitz eröffnet wird, es eine nach unserem Konzept sein soll“, so Rösler. Schon jetzt haben die Fraktionen einiger Parteien Kontakt mit der Arbeitsgruppe aufgenommen. Auch die Mitglieder der Gruppe selbst wollen nun an die Verwaltung herantreten und ihr Konzept vorlegen. „Die letzte Entscheidung liegt in Dresden, doch der Impuls muss aus der Kommune kommen“, erklärt Rösler. Mittlerweile wird das Projekt von etwa 70 Eltern unterstützt. Rösler geht aber davon aus, dass die Zahl noch wachsen wird, sobald eine Schulgründung in Aussicht steht und das Projekt konkret wird.
Diese Hoffnung ist angesichts zunehmender Frustration über das herkömmliche Schulsystem und der Auslastung des Chemnitzer Schulmodells sicher berechtigt. Warum soll es also nicht zwei „gute“ staatliche Schulen in Chemnitz geben?
www.schulmodell.eu
www.guteschule.org
Text: Sarah Hoffmann / Lars Neuenfeld Foto: CSM