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Das Taxi-Problem

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Irgendwann an einem Sonntagnachmittag: Der Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt greift zum Telefon und möchte sich ganz easy ein Taxi bestellen. Doch was muss er hören? Geht nicht! Ohne Vorbestellung keine Chance.

Der Chemnitzer OB Sven Schulze schilderte diesen Vorfall in einem Pressegespräch. Dort verkündete er dann auch, Abhilfe schaffen zu wollen. Entweder die in der Taxigenossenschaft zusammengeschlossenen Betriebe erfüllen ihren Beförderungsauftrag oder der Markt wird für weitere Fahrdienste geöffnet. Weder das eine noch das andere ist aber so einfach. Doch der Reihe nach:

Zunächst zur Frage, warum der OB am Sonntagnachmittag kein Taxi bekommen hat. Klar ist, dass diese Situation weder ausschließlich den Oberbürgermeister betrifft noch symptomatisch für einen Sonntag in Chemnitz ist. Dass der Taxiwunsch abgelehnt oder nur mit langer Wartezeit von der Genossenschaft erfüllt wird, ist leider seit Jahren ein Fakt, der sich durch die ganze Woche zieht und mit Vehemenz in den Nachtstunden augenscheinlich wird. Um die Ursache zu erfahren, hätten wir in der Taxi-Genossenschaft anrufen können. Deren Vorsitzender Wolfgang Oertel hatte gegenüber Tag24 aber auf den Vorwurf aus dem Rathaus verärgert mit den Worten reagiert: „Das stimmt nicht. Wir sind rund um die Uhr erreichbar. Und Taxis ausschließlich auf Vorbestellung: Das gibt es bei uns nicht." Damit zeigt Herr Oertel leider eine völlige Realitätsverweigerung.

Interessanter schien es uns daher, einfach mal Taxi zu fahren und die Fahrer auszuhorchen. Ergebnis: Es gibt einfach zu wenige Fahrer*innen. Einer, wir bleiben anonym, da auch wir inkognito gefragt haben, erklärte uns, dass sein Betrieb 15 Autos auf der Straße hat. „Die sind tagsüber komplett ausgelastet, viel Schülerfahrten, Krankenbeförderung, feste Termine. Nachmittags ist kaum ein Taxi frei.“ Auf die Frage, ob er denn auch nachts fahre, meinte der nette Mann, dass er das früher gemacht hätte, aber er könne ja nun tagsüber sein Geld verdienen. Von den 15 Autos in seiner Firma wären nachts meist nur zwei oder drei unterwegs. Warum nicht mehr Menschen ins Taxigeschäft einsteigen, konnte er sich nicht recht erklären. Eigentlich könne man, vor allem nachts, gut Geld verdienen. Gerade als Zuverdienst oder Nebenjob wäre das perfekt.

Tatsächlich suchen aktuell mindestens sieben Taxibetriebe neue Fahrer*innen. Die Voraussetzungen sind überschaubar: Führerschein, zwei Jahre Fahrpraxis, Führungszeugnis, der Rest ist Anlernen (ein sogenannter Personenbeförderungsschein muss gemacht werden) und dem Navi vertrauen. Vielleicht intensivieren die Taxibetriebe nach der Ankündigung des Oberbürgermeisters, auch Alternativen zu prüfen, diese Suche, vielleicht hilft das Rathaus dabei. Denn eins ist sicher. Mit Blick auf 2025 ist der aktuelle Zustand unhaltbar. Aber eigentlich auch so schon.

Deshalb zu Punkt zwei, der Blick auf Alternativen. Die sind nämlich gar nicht so besorgniserregend für die hiesige Branche. Da fällt den meisten zuerst Uber ein, ein Mitfahrdienst, bei dem Transportwillige per App ein verfügbares Mietfahrzeug samt Driver ordern können. Uber ist tendenziell etwas preiswerter, aber eigentlich ist der Kostenfaktor ein Mythos. Billig ist Uber keinesfalls. Nur würde der Branchenführer in Sachen Taxi-Alternative sein Netz nach Chemnitz ausbauen? Bisher ist Uber in Deutschland in allen Millionenstädten und in den Ballungsgebieten Rhein-Main und Ruhr unterwegs. Bei allem ECoC-Hype, aber da scheint Chemnitz doch etwas zu klein. Auch Free Now und Bolt konzentrieren sich auf große Ballungsräume, eher in Frage kommen könnten Dienste wie Clevershuttle oder Moia. Hier ist das Marktbild noch uneinheitlich. Einerseits expandieren diese (und andere) Dienste, andererseits werden Städte aus Kostengründen auch immer mal wieder aufgegeben. Da ist also gerade viel Bewegung im Markt. Nicht zuletzt benötigen auch diese Dienste Menschen, die andere irgendwohin fahren wollen. Wenn aber die Taxi-Genossenschaft, die tendenziell besser bezahlt als die Alternativdienste, schon niemand findet, was dann?

Vielleicht muss man aber auch den Blickwinkel auf die Mitarbeiter*innenakquise verändern. Der Chemnitzer Markteintritt von Lieferdiensten wie Flink und Lieferando hat eine vielsprachige, international anmutende Flotte von E-Bike-Fahrern auf die Straße gebracht. Offensichtlich ist es den international agierenden Konzernen also weit besser gelungen, in ein in Chemnitz marginalisiertes Milieu vorzudringen und dort Arbeitskräfte zu gewinnen. Schaut man hingegen in Chemnitzer Taxis, so ist die Person hinterm Steuer fast immer männlich, mittelalt und weiß. Die Lösung für das Chemnitzer Taxiproblem scheint also erneut mit einem generellen Chemnitzer Problem zusammenzuhängen: Wie schafft es diese Stadtgesellschaft, Menschen aus anderen Ländern gegenüber offen, freundlich und dankbar zu sein? Die können ihr Geld nämlich auch woanders verdienen. Und deshalb muss unser Oberbürgermeister sonntags laufen.

Text: Lars Neuenfeld

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