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DER TRAUM VOM RAUM

Chemnitzer Musiker beklagen Proberaummangel

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Ein kleiner Blick in die sächsische Kulturlandschaft: Im Jahr 2006 waren in Sachsen 449 Unternehmen in der Musikwirtschaft tätig und erwirtschafteten mit 2218 Beschäftigten einen Gesamtumsatz von 178 Millionen Euro. „Ein für Sachsen herausragender Wirtschaftszweig ist die Musikinstrumentenproduktion“, heißt es im vom Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit herausgegebenen Kulturwirtschaftsbericht 2008.

Schlusslicht in der Statistik sind mit drei Prozent Umsatzanteil die selbstständigen Musiker. Die Studie zieht folgendes Zwischenfazit: „Eine auffallend geringe wirtschaftliche Potenz (im Freistaat, d. Red.) erzielen hingegen die Musikverlage und Tonträgerunternehmen/ Labels“. Möglicherweise, so heißt es weiter, seien mit dem Fehlen einer starken sächsischen mittelständischen Tonträgerindustrie auch die geringen Chancen der selbstständigen Musikergruppen zu erklären. Erschreckendes Resultat: In ganz Sachsen wagen lediglich cirka 50 selbstständige Musiker und Komponisten eine privatwirtschaftliche Existenz und das obwohl laut Künstlersozialkasse knapp 1800 freiberufl iche Musiker und verwandte Musikberufe gelistet seien. Was auf Landesebene schon fi nster wirkt, wird auf Regionalebene rabenschwarz. Wer hier genauer hinschaut, fi ndet ein paar simple Ursachen für die Unterentwicklung.

„In Chemnitz gibt es keine entwickelte Musikindustrie“, sagt Sören Gruner. Der Chemnitzer Student und Sänger der Deutschrock-Gruppe L.E.G.O. Sputnik hat ein Praktikum im Chemnitzer Kulturbüro absolviert. Ziel des Praktikums war die Erstellung eines Thesenpapiers, indem er erarbeiten sollte, wie gezielte Bandförderung in Chemnitz aussehen könnte. Was der Bericht des Ministeriums auf Landesebene nur feststellt, betreibt Sören Gruner in seiner Untersuchung auf Städteebene Ursachenforschung. Zusammengefasst kommt er zu folgendem Schluss: Von den gut 150 Bands, die es in der Region Chemnitz gibt, haben viele Probleme mit Proberäumen, jede Band zieht im Schnitt einmal pro Jahr um. Des Weiteren liegen die Probleme gerade bei jüngeren Gruppen darin, an Auftrittsmöglichkeiten außerhalb von Chemnitz heranzukommen. Eine Folge dessen sei, so Gruner, das viele Gruppen und junge Musiker unzufrieden mit der Situation in Chemnitz sind, das Gefühl haben, dass die Stadt zu wenig für die Musikszene tue.

Ähnlich sieht das auch Alexander Lörinczy, Sänger bei der Rockband Dolly’s Meat. Vielleicht ist die Geschichte seiner Band typisch für Chemnitz. Sechs Jahre lang hatte Dolly’s Meat einen Proberaum im Heckert-Gebiet, bis das Haus aufgrund von Rückbaumaßnahmen abgerissen wurde. Mit ein paar Monaten Pause fanden Lörinczy und seine Band eine Möglichkeit, im Jugendclub B-Plan zu proben. Doch 15 Quadratmeter und die ungünstige Lage am Stadtrand, waren der Grund für ein lediglich kurzes Intermezzo. Es folgte ein weiteres Zwischenspiel an der Kappelbachgasse. Das Industriegelände war bis vor wenigen Monaten das zu Hause vieler Chemnitzer Bands. Es wäre sicherlich auch noch so, wenn sich der Vermieter nicht entschieden hätte, das Gelände auch anderweitig, lukrativer zu vermieten. In diesem Fall an ein Yoga-Studio. Klar, dass niemand eine Bassdrum hören will, wenn er gerade meditiert. „So kommt es, dass wir nach einem dreiviertel Jahr schon wieder umgezogen sind“, erklärt Lörinczy weiter. Diesmal in ein leer stehendes Haus an der Theaterstrasse. Das alte Gebäude an der Chemnitz befi ndet sich derzeit in Zwangsverwaltung und wird momentan bis unter das Dach an Musiker vermietet. Dass das Gebäude unter Zwangsverwaltung steht, deutet allerdings schon auf den temporären Charakter der ganzen Unternehmung hin. „Als Band brauchst du einen festen Ort, der nicht alle paar Monate wechselt“, so Sänger Lörinczy.

Ein ähnliches Problem hat auch Marius Thielemann. Bereits seit zwei Jahren sucht er für seine Metal- Band Cockpriest einen Proberaum. Ende April sind die Musiker nun fündig geworden, ebenfalls in dem Objekt an der Theaterstrasse. Dem voraus gegangen ist eine zweijährige Odyssee. Vom alten Ikea-Gebäude an der Reichsstrasse über den Spinnereimaschinenbau bis hin zum alten Stasi-Haus in Adelsberg - Marius Thielemann hat in den vergangenen zwei Jahren viel telefoniert und gesucht. Entweder waren die Gebäude marode oder er wurde unter teils fadenscheinigen Gründen abgewimmelt. Dass es nun an der Theaterstrasse geklappt habe, sei dem Umstand zu verdanken, dass eine andere Band gerade ihren Mietvertrag gekündigt hat. „In Chemnitz gibt es wenig Leute, die ernsthaft an Musiker vermieten wollen“, so Thielemann. Außerdem gebe es in dieser Stadt keine Anlaufstelle, wo sich Künstler bei Problemen hinwenden könnten.

Diese Sorgen kennt auch Bernd Ruscher, Leiter des städtischen Kulturbüros. Auch er sieht die Stadt hier in der Pfl icht: „Die Rahmenbedingungen müssen stimmen“. Kulturelle Leuchttürme, wie das Museum Gunzenhauser oder die Kunstsammlungen seien das eine, eine intakte Subkultur das andere. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Avantgarde von heute, die Moderne von morgen ist“, so Ruscher weiter. Das ist natürlich Balsam in den Ohren Kulturschaffender. Hier tut sich ein Feld auf, wo die Stadt zeigen könnte, was ihr der Slogan „Stadt der Moderne“ wirklich bedeutet und unkonventionelle Projekte betreut bzw. unterstützt. So fordert Sören in seinem Praktikums-Bericht beispielsweise die Errichtung eines von der Stadt finanzierten Bandhauses mit angeschlossenem Konzertraum. Doch die bürokratischen Mühlen mahlen langsam. Im Herbst wird gewählt, der Stadtrat neu zusammengesetzt. „Kultur hat auch viel mit Politik zu tun“, so Ruscher weiter. Jetzt neue Projekte zu starten, ohne zu wissen, wo im Herbst im Rat die Mehrheiten liegen, sei wenig sinnvoll. Ein aktuelles Beispiel zeigt allerdings, wie die kulturelle Uhr in dieser Stadt wirklich tickt: Wegen Lärmbelästigung musste die Kaßbergkneipe „Lax“ Ende April bis auf weiteres alle Live-Konzerte absagen. Begründung: In einem Wohngebiet gelten besondere Lärmschutzmaßnahmen, welche die gemütliche Eckkneipe bei weitem nicht erfülle. Da hilft es nicht einmal, dass Ordnungsbürgermeister Runkel zu den Stammgästen der „Krach-Macher“ zählte.

Text: Alex Dinger Bild. photocase.de/zettberlin

Erschienen im 371 Stadtmagazin 05/09

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