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Von außen kann man viel über das Alternative Jugendzentrum auf der Chemnitztalstraße 54 sagen. Meistens hat es mit links, alternativ, bunt, irgendwas mit extrem oder chaotisch zu tun. Aber ey! Das AJZ wird just 30 Jahre alt. Stimmen diese Sichtweisen denn überhaupt (noch)? Zum Geburtstag ein Blick ins Innere.
In einem Song von Peter Maffay heißt es Du hast dich verändert // Die wilden Jahre sind vorbei // Auch wenn ich hier bleibe // Es kann nicht mehr wie früher sein. Ja, der Peter besingt da diesen ganz menschlichen Vorgang der Veränderung. Du, das ist in dieser Erzählung vielleicht das AJZ. Du hast viele Jahre // Alles mitgemacht // Wir teilten uns das letzte Brot // Und wärmten uns bei Nacht // Doch die Zeit der Freiheit // Dauerte dir zu lang // Du brauchst Sicherheit // Die ich nicht geben kann.
Wer Ich ist, weiß ich nicht, aber fangen wir mal von vorne an. 1990 wird der Verein gegründet. Zeitgleich mit der so genannten Wiedervereinigung und dem Entstehen einer neuen jungen Republik, entsteht die Idee eines selbst verwalteten, unabhängigen Jugendzentrums. In verschiedenen Konstellationen hinterlassen in den Folgemonaten die jungen Menschen Spuren der Besetzung in ganz Chemnitz bis 1992 die Chemnitztalstraße 54 zum endgültigen Standort wird. Von dort aus wirkt der Verein mit all seinen Initiativen und Kollaborationen seither im kulturellen und (sozial)pädagogischen Bereich. Damit ist die Arbeit per se auch politisch. Die AJZ-Kinderjahre, die Neunziger, diese Zeit des Umbruchs war ein großes Lernfeld für das Projekt und alle daran Beteiligten.
Das AJZ prägte. Anja Bartl-Lassati, dort seit 12 Jahren als Sozialarbeiterin in der außerschulischen Jugendbildung tätig, war 1995 das erste Mal als Besucherin im AJZ, hatte die damals einzige Vokü der Stadt besucht. Sie kam wieder. Ein anderes Identifikationsangebot zu haben als die gängigen Vorschläge war Mitte der Neunziger Jahre genauso wichtig wie heute. So wie bei Kai Winkler. Mit 14 Jahren war er das erste Mal im AJZ, das erste Mal bei einem Konzert, das erste Mal Live-Musik, und war sofort „infiziert“. Er sieht den Leuten zu, nur wenige Jahre älter als er selbst, die das alles organisieren, den „Idolen für uns junge Menschen“, wie er sagt. Ein Prinzip des Hauses ist das Ausprobieren, die Initiative, das Selbst-Aktiv-Werden, Erfahrungen sammeln dürfen. Als das AJZ kaum mehr Konzerte anbot, in den Nuller-Jahren, der Pubertät des AJZ, kam er zurück, weil Meckern alleine nicht geht, weil man sich reinarbeiten muss, weil man selbst aktiv werden muss. Seit dieser Zeit ist er ehrenamtlich im Kulturbereich tätig. Den Vorstand des Vereins hat er zuletzt verlassen, weil es schließlich ein Jugend-Zentrum sei und mit Anfang vierzig schon die Frage aufkomme, ob er die Jugend noch vertreten könne. Auch wenn ich hier bleibe // Es kann nicht mehr wie früher sein wären dem Peter Maffay seine Worte für diesen Zustand.
In seinen Twenties hat das AJZ vielen Bedrohungen, hauptsächlich finanzieller Art, dank ihrer Kämpfe standgehalten. Und nun der 30. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! Feiern geht freilich in Zeiten von Corona nicht. Geplant war ein dreimonatiges Fest mit 30 Veranstaltungen aus allen Bereichen des Zentrums: Theater, Konzerte, Vokü im Stadtinneren, Jugendaustausch um einige zu nennen. Das wird 2021 mit allen Freund*innen nachgeholt. Dieses Jahr bleibt die Familie unter sich.
Aber was hat sich denn verändert in 30 Jahren AJZ? Die Bedeutung und das Anliegen des Vereins seien im Wesentlichen geblieben, aber das AJZ ist ‚erwachsen geworden‘. Die gestiegenen Bedarfe der Jugendlichen im sozialpädagogischen Bereich und das professionalisierte Gegenüber im Kulturbereich haben einen Organisationsentwicklungsprozess über die Jahre notwendig gemacht. Bei aller emotionaler Bindung und allem Punkrock „muss man sich ab einem gewissen Punkt strukturieren“ sagt Kai. „Struktur möglichst ohne Hierarchien“ fügt Anja hinzu. Das AJZ prägt.
Du hast viele Jahre // Alles mitgemacht // Doch die Zeit der Freiheit // Dauerte dir zu lang // Du brauchst Sicherheit … denn genauso wenig wie das AJZ ohne das Haus in der Chemnitztalstraße zu denken ist, ist das AJZ ohne die Menschen zu denken, die es machen – auch die junge, nachwachsende Generation. Nicht nur diese Menschen haben sich verändert, nein, auch die junge gesamtdeutsche Republik hat sich in den 30 Jahren ihres Bestehens verändert.
Ein gesamtgesellschaftliches Aufflammen der Zustände der Neunziger sei zu beobachten, sagt Anja. Für das AJZ bedeutet das konkret seit 2019 eine veränderte parlamentarische Situation, die beispielsweise die Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses wesentlich konservativer gemacht hat und die Existenzberechtigung des AJZ in Zweifel zieht. Neue Herausforderungen stehen also wieder einmal an.
Nur ist das AJZ kein trotziges Kind mehr. Mit 30 Jahren fängt man an Kompromisse zu machen, zum Beispiel „wenn ich manchmal ein aus meiner Sicht pädagogisch und konzeptionell sinnvolles Projekt inhaltlich modifizieren muss, um den Verein oder die Förderung der sozialpädagogischen Angebote nicht zu gefährden.“ Ist das ein schlechtes Zeichen? Es ist ein Ausdruck dieser Geschichte. Im Angesicht der jüngsten Entwicklungen weiß das AJZ die Stadt und eine Zivilgesellschaft hinter sich, in die es sich „gut verwurzelt hat“. Ist das ein gutes Zeichen? Auch das ist ein Ausdruck dieser Geschichte. Vom Lernen und jahrelanger, beständiger Arbeit an der Sache.
Aber was ist nun mit diesen Zuschreibungen von außen, dieses links, alternativ, chaotisch?! Oder dieses andere böse A-Wort: Antifaschismus?! Was bedeutet das denn im Jahr 2020? Für einige scheint es eine Bedrohung zu sein. Wenn jedoch die Bedrohung darin besteht, einen Diskurs einzufordern und Menschen dabei zu unterstützen sich selbst zu verwalten und Selbstwirksamkeit zu erfahren, dann ist das wohl nur bedrohlich für Menschen, die eine selbstbestimmte, reflektierte Gesellschaft ablehnen. Das sind dann auch die, für die es keine Selbstverständlichkeit ist, in dieser jungen Republik im eigentlichen Wortsinne Antifaschist*in zu sein.
Nun, mit 30 Jahren, kann das AJZ frei heraus sagen, dass man als Punk auch Geld verdienen darf, dass sich der Wunsch nach Sicherheit und dem gleichzeitigen Hinterfragen von gesellschaftlichen Zuständen nicht ausschließt. Es ist ein Widerspruch. Nicht mehr und nicht weniger.
Herzlichen Glückwunsch zum 30. Geburtstag!
Text: Gabi Reinhardt Foto: AJZ