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Backen für die Zukunft

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Am 5. Mai ruft der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks zum dritten Mal den Tag des Deutschen Brotes aus. Doch hat Backen als Handwerk überhaupt noch eine Zukunft oder essen wir bald nur noch aufgebackene Teiglinge aus asiatischen Megabäckereien? Sarah Hofmann biss sich am Thema fest und besuchte vier Chemnitzer Backstuben.

Eine frische Butterbemme ist ein Erlebnis. Dieses beginnt mit dem Gang zum Bäcker. Vor der Theke, umwabert von köstlichen Düften nach Kuchen und Backwaren, fällt die Wahl oft nicht leicht. Kundige Verkäuferinnen beraten gern und reden dem Kunden mit ihrer Aufzählung der angebotenen Brotsorten den Mund wässrig. Auf das Kulturgut wird Wert gelegt, in keinem Land gibt es so viele verschiedene Brotsorten wie in Deutschland. Sogar eine Anerkennung als immaterielles Welterbe wird angeregt.

Im Durchschnitt verzehrt nach Angaben der sächsischen Bäckerinnung jeder Deutsche etwa 87 Kilogramm Brot und Brötchen pro Jahr. Das entspricht einer Tagesration von etwa 3 Scheiben Brot, einem Brötchen und einer Bretzel. „Der Pro-Kopf-Verbrauch bleibt relativ konstant“, weiß Betriebsleiter Uwe Dehne von der Chemnitzer Großbäckerei Union, „es wechselt nur, wo das Brot gekauft wird.“ Im Idealfall entstand der Brotteig in einer kleinen Bäckerei, wurde aus Mehl, Wasser, Salz und nach vielen liebevollen Ruhephasen vom Bäckermeister persönlich gebacken. Doch dem Handwerk wird es schwer gemacht. Auch Chemnitzer Bäcker werden von globalisierten Discounterangeboten unter Druck gesetzt. Es ist ein Kampf ums tägliche Brot, bei dem das handwerkliche Backen durch industrielle Massenproduktion unterzugehen droht. Kleine Bäckereien müssen sich anstrengen, um der ständigen Verfügbarkeit und dem globalisierten Gebäckangebot der großen Discounter etwas entgegenzusetzen.

Traditionsbetrieb im Wandel

Vor allem die Landbäckereien sind vom Wandel des Konsumverhaltens betroffen. Die Bäckerei Worf mit ihrem Stammsitz in Berbisdorf feierte erst kürzlich ihr 125-jähriges Bestehen und muss nun zunehmend um ihre Existenz bangen. Andrea und Jens Worf führen ihre Bäckerei schon in der vierten Generation. Seit jeher setzen die Worfs auf Können und auf Tradition. Deshalb dreht sich das Leben der Familie auch um den Sauerteig der Bäckerei. „Der Sauerteig ist die Seele des Brotes. Meine Sauerteigbakterien arbeiten seit 1889“, erklärt der Bäcker. Doch der divenhafte Teig muss regelmäßig gefüttert und umhegt werden, was das komplette Leben beansprucht und längere Urlaube ohne einen Sauerteig-Sitter unmöglich macht. Hefe oder andere Backtriebmittel kommen dem Bäcker trotzdem nicht in den Brotteig.

Neben der Stammbäckerei gibt es in Chemnitz einige Filialen und ein Café. Eben diese Filialisierung macht den Worfs nun zu schaffen. Durch die Einführung des Mindestlohnes mussten die Preise etwas angehoben werden und mittlerweile sind alle Geschäfte an Montagen geschlossen. Wie das ankommt und sich finanziell auswirkt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. „Wir arbeiten uns von Monat zu Monat vor“, sagt Bäckersfrau und Geschäftsführerin Andrea Worf.

Viele Bäckereien befinden sich in einer ähnlichen Situation. Durch ihre Strukturen können sie ihre Öffnungszeiten nicht an veränderte Lebensstile anpassen, wachsender bürokratischer Aufwand, wie[nbsp] das Gebot, alle Allergene und Inhaltsstoffe in den Backwaren zu kennzeichnen, lässt sich in den Kleinunternehmen kaum stemmen.

Der Kult-Bäcker

Den Ballast der Tradition, der Fluch und Segen zugleich sein kann, trägt die Bäckerei Hahn nicht mit sich herum. Uwe Hahn eröffnete seine Bäckerei erst vor neun Jahren. Doch wer am Samstagvormittag durch Bernsdorf fährt, kann ab und an ein in Chemnitz sehr seltenes Phänomen erleben: auf der Stadlerstraße steht eine Schlange. Menschen reisen aus allen Stadtteilen an, um Brot und Brötchen der Bäckerei Hahn, liebevoll „Hahn-Bäck“ genannt, zu ergattern.

Inhaber Uwe Hahn erklärt das so: „Das Geheimnis liegt darin, dass wir jeden Tag frisch produzieren und nichts Altes verkaufen.“ Außerdem hat er viele Brotrezepte selbst entworfen und Brot und Brötchen bekommen bis zu 18 Stunden Zeit zum Reifen, damit sie ihren vollen Geschmack entfalten können. Doch kann es das schon gewesen sein? An der Uninähe liegt es wohl kaum. Zwar gäbe es in den Semesterferien einen leichten Umsatzrückgang, „aber der ist nicht dramatisch. Da die Menschen von überall kommen, sind wir nicht unbedingt auf die Studenten angewiesen“, erklärt der Bäcker.

Mittlerweile versechsfachte er seinen Umsatz und beschäftigt neben seinen zehn Verkäuferinnen, acht Bäcker und hat ein Drei-Schicht-System eingeführt. Am Tag werden die Teige vorbereitet, Abends und Nachts wird gebacken und die Tagschicht sorgt mehrmals im Laufe der Öffnungszeit für frische Brötchen, sodass die Kunden immer mit einer warmen Brötchen-Tüte den Laden verlassen können.

Slow Food durch Technik

Ein ganz ähnliches Prinzip möchte die Großbäckerei Union in ihren „Emil Reimann“-Filialen einführen. Momentan werden die Brötchen in der Fabrik halb gebacken, gefroren und dann in den einzelnen Filialen fertig gebacken. Das soll sich nun ändern. Nach dem neuen System darf der Brötchenteig eine lange Reifezeit genießen. Wenn die Herstellung am Montagmorgen um vier Uhr beginnt, wird der Teig etwa bis 20 Uhr mit verschiedenen Kältestufen behandelt. Der ungebackene Teig wird dann in die einzelnen Filialen geliefert, dort werden die Brötchen in regelmäßigen Abständen gebacken, sodass Kunden stets frischgebackene Brötchen bekommen.

„Wer in zehn Jahren noch am Markt sein will, hat nur einen Weg – den in die Premiumklasse“, erklärt Betriebsleiter Uwe Dehne. Die neue Brötchenart wird bisher in zwei Probefilialen angeboten und schon hob sich der Umsatz laut Dehne um 50 Prozent. Der Geschäftsführer ist zuversichtlich, dass sich das Verfahren in Zukunft durchsetzen wird. „Qualität wird in Zukunft eine noch größere Rolle spielen“, prophezeit er.

Purismus trifft Vollkorn

Diesen Trend erkannte Mariusz Szachniewicz schon früh. Mit seiner „Vollkorn-Bio-Bäckerei Hahn“, die bis auf die Namensverwandtschaft nichts mit dem Bernsdorfer Bäcker gemein hat, erkannte er gleich nach der Wende eine Bedarfsnische. Seine Basis liegt an der Stelzendorfer Straße, dort befindet sich auch ein kleiner Laden, ansonsten verkauft der Bäcker seine Backwaren mobil auf dem Wochenmarkt und beliefert diverse Bio-Läden. „Wir stellen fest, dass die Menschen immer bewusster leben und der Trend von großen Mengen weggeht“, erklärt er.

Beim Backen legt er einen traditionellen Purismus an den Teig. „Wir backen zu 100 Prozent aus Biomehl. Das macht nicht jeder, außerdem verwenden wir kaum Weißmehl“, erklärt Szachniewicz. Darüber hinaus nutzt der Bäcker Sauerteig, eine Beschleunigung der Gärverfahren durch Hefe will er nicht. Seine Backwaren sind akribischen Kontrollen ausgesetzt, doch Probleme verursacht das kaum, denn der Bäcker achtet auf die Herkunft seiner Zutaten.

In Chemnitz gibt es natürlich weitere Bäckereien, die der fortschreitenden Globalisierung ihre eigene Back- und Verkaufsphilosophie entgegensetzen. Aller Untergangsszenarien zum Trotz: Ob nun durch Individualität, Vollkorn oder Premiumqualität – das Backen als altes Handwerk behauptet sich. Auch Mariusz Szachniewicz sieht das optimistisch: „Ich denke, die kleine Bäckerei wird es immer geben, wenn auch nicht in so großem Stil wie früher“.

Bild: photocase.de /zettberlin

Erschienen im Heft 05/15

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