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FBI-Website oder IKEA-Tisch?

Was Chemnitzer Hacker wirklich treiben

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Wenn das kleine Logo am unteren Rand des Computerbildschirms vermeldet "alles sicher", dann fällt einem dieser Tage ja schon ein Stein vom Herzen. Was muss das für ein schlimmer Ort sein, dieses Internet, wo anonyme Männer kaputt machen und ausspionieren können, was sie wollen, wann sie wollen. Da schaut mancher lieber Fern, Tagesschau etwa und schon wieder: Hacker Rächen sich am amerikanisch FBI, weil man ihnen das Kino abgestellt hat.

Der eine jubelt, der andere wundert sich nur, warum laufen die noch frei rum. Sogar in Chemnitz treffen sich Hacker-Gruppierungen wöchentlich und tun das auch noch im Internet kund. Besucher finden an der Augustusburger Straße 102 eine Klingel ohne Schild. Das wurde angeblich vom Regen abgespült. Im zweiten Stock, in einem Raum voll mit Notebooks, Elektrobauteilen und Kistenweise Club Mate, sitzen sie. Hier also muss sie stattfinden die Unterhöhlung der Netzgemeinde. Die Anwesenden: Informatiker, Elektrotechniker, Physiker? Das sind doch alles Hacker!

"Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen."

Wenn man drei Leute frage, was sie unter dem Begriff Hacker verstehen, sagt Michael, mit Florian einer der Gründer des Treffs, dann bekäme man wohl sechs verschiedene Meinungen. Im Raum herrscht jedoch weitgehend Konsens, dass der alte Begriff vom Hacker gilt. Der orientiert sich an einer Art Überlieferung, die schon durch viele Hände ging und ursprünglich aus einem Eisenbahnerclub des MIT stammt. Hier sind Hacker technisch versierte Bastler, die zwar Autoritäten gegenüber skeptisch sind, aber keinem User etwas böses wollen und sollen. Diese Ethik fasst der Anfang der 1980er gegründete Chaos Computer Club (CCC) treffend zusammen: "Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen." Dem CCC fühlen sich auch die Hacker in der Augustusburger Straße nahe. Sie bilden einen Chaostreff, eine lose Gruppierung, mit Bekenntnis zum CCC. Entsprechend skeptisch sieht man hier auch die Aktionen um Anonymus und Co., die ja meist nicht einmal von echten Hackern, sondern von sogenannten Scriptkiddies durchgeführt werden. Die laden sich aus dem Internet eine fertige Software runter und feuern zum verabredeten Zeitpunkt auf Zielwebseiten. Manche Angriffe seien gerechtfertigt, aber was bringe letztlich eine solche Attacke, fragen die Chemnitzer. Eine kurze Aufmerksamkeit, aber meist keine gute. Es gebe andere Formen des Protests gegen Gängelung im Netz, wie unlängst den freiwilligen Blackout-Tag großer US-Seiten, die E-Petition oder auch einfach selbst ein Netz bauen.

Von User zu User zu User
Amadeus ist beispielsweise nicht nur Mitglied im Chaostreff, sondern auch einer der Chemnitzer Freifunker. Die basteln an einem Netz für Chemnitz, dass eine Art digitaler Freiraum ohne die Vorschriften großer Provider sein soll. Wer will kann mitmachen und mit dem eigenem WLAN-Router die Nachbarschaft erschließen. So entstehen Zellen, die Untereinander verbunden sind, aber auch Zugang zum Internet bekommen können. Damit der Besitzer der Telefondose keinen Ärger bekommt, geht diese Verbindung über ungarische Server – vorläufig. Denn der Traum der Freifunker, die es nicht nur in Chemnitz gibt, wäre ein flächendeckendes freies Netz. Von User zu User zu User.

Aber auch kleinere Ideen mit weniger Idealismus beschäftigen die Techniker im Chaostreff. Mike bastelt beispielsweise gerade an einer Uhr wie sie sich wohl nur Hacker ausdenken können. Er programmiert sein Netbook so, dass dieses ein Signal ausgibt, was von einem herkömmlichen Oszillograph interpretiert wird und auf dem grün leuchtenden Schirm des Geräts wie eine analoge Uhr aussieht. Eine Tüftelei, die wohl nur technisch Interessierte zu schätzen wissen, die aber auch zeigt, worum es beim Hacken oft geht: zeigen was möglich ist. Hacken, so Amadeus, heißt ja auch etwas entgegen seiner ursprünglichen Bestimmung nutzen. Das gibt es auch abseits der etablierten Nerd-Klischees. Beispielsweise zeigen zahlreiche IKEA-Hacks, was kreative Köpfe alles aus den Standardbausätzen des Möbelhauses zaubern. Leuchtbilder, Pflanzkästen oder das wiederum bei Technikfans beliebte LACKRACK. Da stellte einmal jemand (wie es heißt ein Google-Mitarbeiter) fest, dass der Abstand der Beine des 7,99-Pressspantisches LACK genau 19 Zoll betragen. Die Breite, in die Serverhardware, Switches oder Heimkinoequipment perfekt eigeschraubt werden können.


„Ihr seid aber nicht die, die in Amerika alles lahmlegen, oder?“
Neben derlei für den Durchschnittsbürger zwar erstaunlichen aber eher unnützen Fakten, wissen die Jungs vom Chaostreff aber etwa auch, wie man das heimische WLAN sichert. Solches Wissen wollen sie künftig weitergeben, einen Verein gründen und den Treff nach außen öffnen, beispielsweise mit Workshops oder Vorträgen. Die nächste Stufe in der Hierarchie des CCC ist denn auch der Erfa-Kreis (Erfahrungsaustauschkreis), der sich auch durch regelmäßige Veranstaltungen an der Hackerkultur beteiligt. Dass die keine einsame ist, in der Individuen nur noch über Kabel verbunden sind, zeigen die Chemnitzer Treffen. Wie einst im Modelleisenbahnclub, macht es dessen Mitgliedern auch keinen Spaß, allein im Keller zu basteln. Mitmachen darf jeder Interessierte. Der Treff sei zwar keine Schule, aber eine offene Werkstatt sagt Florian. Auch IT-Hobbies wollen geteilt werden und ein Chat sei dazu zu wenig gemütlich. Ein Vorurteil, das abgebaut werden darf. Als schließlich der Pizzabote mit dem Abendessen kommt, schaut der in den Raum: „Ihr seid aber nicht die, die in Amerika alles lahmlegen, oder?“

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Erschienen im 371 Stadtmagazin 02/12

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