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Freiwillige vor

Wer ersetzt die Zivis?

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Mit der Aussetzung der Wehrpflicht endet auch die Zeit der Zivildienstleistenden in Krankenhäusern, Altenheimen und Sozialeinrichtungen. Über viele Jahre haftete den Zivis auch das Image billiger Arbeitskräfte im Pflegebereich an. Droht nach dem Wegfall nun Pflegenotstand und Kostenexplosion?

Einer der großen gesellschaftlichen Umbrüche in der Geschichte der Bundesrepublik schlich sich irgendwie von hinten an. Die Wehrpflicht wird noch in diesem Jahr ausgesetzt. Aus Kostengründen. Generationen von jungen Männern werden also nicht mehr verpflichtet sein, sich Tannenbüschel an den Helm zu stecken, oder aber triftige Gründe zu nennen, aus denen sie ihre Arbeitskraft lieber für einige Monate auf die Hilfe in Krankenhäusern, Altersheimen oder sozialen Einrichtungen verwenden. Denn mit der Wehrpflicht fällt auch die Pflicht zum Ausweichdienst der Verweigerer. Doch wie stark fehlen den Chemnitzer Sozialeinrichtungen die helfenden Hände wirklich?

Zivis von 180 auf null[nbsp]
Dass Altersheime und Krankenhäuser bald ebenso von Leerstand und Verfall bedroht sind wie viele Kasernen der Bundeswehr, bleibt nicht zu befürchten. Denn es ist längst kein „Heer“ von jungen Männern mehr, das den zivilen Einrichtungen der Stadt verloren geht. 185 Zivis gibt es im Kreis Chemnitz aktuell, weiß Antje Mäder, Pressesprecherin des Bundesamtes für den Zivildienst. Dabei hätten 126 Einrichtungen ihnen insgesamt 441 Plätze angeboten. Schon heute sind demnach nur rund ein Drittel der hiesigen Zivildienststellen besetzt. „Gegenüber den Glanzjahren in den 90ern ist die Zahl der Zivis schon sehr stark zurückgegangen“, berichtet auch Uwe Kreißig, Pressesprecher der Klinikum Chemnitz gGmbH. Das sei zum einen den geburtenschwachen Jahrgängen geschuldet, zum anderen aber auch den Ausmusterungen. Denn die immer sparsamere Bundeswehr befand schon in den letzten Jahren immer weniger Rekruten für den Wehrdienst tauglich. Damit sank auch die Zahl der potentiellen Zivis, die ohnehin nur noch sechs Monate verpflichtet wurden.

„Fehlende Bewerbungen für die Besetzung freiwerdender Stellen zum April 2010 stellen momentan ein Problem dar.“ Jörg Petzold, Pflegedirektor Zeisigwaldklinik

Zivis sind daher längst kein Schlüsselposten im Personal der Krankenhäuser mehr. „In den Zeisigwaldkliniken Bethanien Chemnitz sind momentan noch sieben Zivildienstleistende zum Beispiel in den Bereichen Zentralsterilisation, OP oder auch zentrale Aufnahme tätig“, so Pflegedirektor Jörg Petzold. „Fehlende Bewerbungen für die Besetzung freiwerdender Stellen zum April 2010 stellen momentan ein Problem dar, um das sich noch gekümmert werden muss“, gibt er zu, doch treffen die Umstellungen das Haus nicht völlig unvorbereitet. Drohende Verkürzung bzw. Aussetzung des Zivildienstes sowie erheblich zurückgehende Bewerbungen veranlassten die Zeisigwaldklinik schon 2009 dazu, ehemalige Zivistellen umzuorganisieren. „In der Vergangenheit haben wir bereits, parallel zum Zivildienst, jungen Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr in unserer Einrichtung ermöglicht“, so Petzold. „Einerseits, um einen Einblick in den Arbeitsalltag eines Krankenhauses zu geben und andererseits, um den Jugendlichen die Entscheidung für einen Beruf im sozialen Bereich zu erleichtern.“

Auch im Klinikum Chemnitz und dessen Tochter der Heim gGmbH sind die Zivis inzwischen deutlich in der Unterzahl. Allein in den Einrichtungen dieser Träger sind derzeit 137 junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr beschäftigt. „Das FSJ hat eine große Bedeutung gewonnen und wir sind froh, dass es noch junge Menschen gibt, die das machen“, so Uwe Kreißig vom Klinikum. Und das trotz der geringen Aufwandsentschädigung, die ein FSJler im Gegensatz zu Zivis derzeit erhält. Lebenserfahrung stünde hier im Vordergrund, so Kreißig, und man merke, dass viele sehr froh seien ein soziales Jahr geleistet zu haben.

Ein Dienst für alle[nbsp][nbsp]
Es könnten bald noch mehr freiwillige Helfer werden. Um die wegfallenden Zivildienstleistenden aufzufangen, hat die Bundesregierung angekündigt, zum 1. Juni die Förderung der bereits bestehenden Freiwilligen Sozialen und Ökologischen Jahre anzuheben und einen Bundesfreiwilligendienst einzuführen. Anders als bei den Jugendfreiwillgendiensten FSJ und FÖJ ist der Bundesdienst keine Ländersache und steht Freiwilligen nicht nur bis zum 27. Lebensjahr, sondern jeden Alters offen. Zwischen sechs und 24 Monaten sollen sie vor allem in Pflege und Betreuung arbeiten. Die Details sind bislang nicht ausgearbeitet, ob und wie erfolgreich der Dienst wird ist daher noch offen. Bethanien-Pflegechef Petzold verfolgt die Planungen wegen der momentan noch sehr unklaren Übergangszeit jedoch sehr aufmerksam. FSJ-Betreuerin Gitta Sbresny von der Heim gGmbH gibt sich optimistisch: Der Bundesfreiwilligendienst sei eine gute Chance Menschen zu finden, die die frei werdenden Zivildienststellen füllen.

Details zum Bundesfreiwilligendienst liegen nicht vor. Ob und wie erfolgreich der Dienst wird, ist daher noch offen.

Es scheint, als sei der Wegfall der Zivis für die Chemnitzer eine eher kleine Herausforderung. Viele Freiwillige stehen schon heute wenigen Zwangsverpflichteten gegenüber. Mit dem neuen Dienst und ein wenig öffentlicher Vermittlung wird sicher auch bald für diese Ersatz gefunden werden. Denn ob Zivildienst, Bundesfreiwilligendienst oder die Freiwilligen Sozialen Jahre, wichtig sind die Stellen allemal. „Sie ersetzen nicht die Profis“, so Klinikumsprecher Kreißig, „doch sie übernehmen viele kleine Aufgaben, die nicht abrechenbar sind, die aber den menschlichen Kontakt enger gestalten.“

Text: Michael Chlebusch Foto: photocase.de/adesigna

Erschienen im 371 Stadtmagazin 02/11

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