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Das Chemnitzer Schauspielhaus steht wie kaum ein anderer Ort für die architektonische Vision der Ostmoderne und für große Bühnenkunst von Goethes Faust bis Dürrenmatts Besuch der alten Dame. Seit drei Jahren herrscht infolge der kommunalen Sparpolitik Pianissimo in den Rängen des Hauses. Vor wenigen Wochen aber wurde das Haus kurzerhand besetzt. 371-Redakteurin Ottilie Wied war vor Ort und hat sich das Geschehen einmal genauer angesehen.
Ein Transparent mit der Aufschrift „C the Closed“ und ein ausgerollter roter Teppich zieren heute das Schauspielhaus. Zudem sorgen bestes Wetter und die Brassband Banda Comunale mit gehaltvollen Balkanklängen für ausgelassenes Tanzen. Das Publikum ist ebenso vielfältig wie die Musik: klassische Theatergänger:innen stehen neben Aktivist:innen, der freie Kunstschaffende kurzzeitig neben Führenden der Kulturhauptstadt GmbH. Der Nahostkonflikt ist hier heute vielleicht nicht das beste Thema, um ins Gespräch zu kommen, doch in Sachen Kultur herrscht an diesen Tagen eine seltene Einigkeit.
Hinter der Aktion steht ein Bündnis Kulturschaffender und Autonomer. Auch Schauspieler des Theaters sind hinter den Kulissen involviert, wie Schauspieler Alexander Ganz-Kuhl. Wenige Tage nach der Besetzung wird dieser noch der Stadt Chemnitz den Europäischen Kürzungspreis in Form einer Mangel überreichen. Ein Symbol, welches die Sparpolitik der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes durch die Mangel dreht. So forderte Ganz-Kuhl bei der Preisverleihung: „Diese Stadt hat einen Geltungsanspruch und sie hat Verantwortung und sie muss als Kulturhauptstadt diesen Geltungsanspruch auch laut machen auf Länder- und auf Bundesebene und – so wie wir es getan haben – einen großen Appell setzen.“
Der größte Appell des besagten Besetzungswochenendes befand sich für meinen Geschmack im Inneren des Hauses. Bühnenmeister Matthias Rentzsch führt hier durch das Haus und ermöglicht einen Einblick in den Zuschauerraum, auf die Bühne sowie unter die Bühne des Saals. Bereits der leicht modrige, aber sehr prägnante Geruch des Zuschauerraums lässt Erinnerungen hochkommen. Doch die Sitzreihen sind abgedeckt, und eine FFP2-Maske liegt noch als Relikt vergangener Coronajahre auf dem Boden. Im Oktober 2021 fand hier die letzte Vorstellung statt, seit Anfang 2022 musste nun der Spinnbau als eigentliche Interimsspielstätte herhalten. Stillstand füllte seither die Bühnen der einstigen Schauspielhochburg.
„Dieses Haus steht als Symbol für den Abbau im Kultur- und Sozialsektor. Es vermodert einfach, es bröckelt von innen“, sagt Alexander Ganz-Kuhl an jenem Wochenende. Seine Worte treffen einen Nerv. Denn was hier zerfällt, ist nicht nur Beton, sondern auch das Vertrauen in eine Politik, die Kultur zunehmend zur verzichtbaren Größe erklärt. Die Sparflamme im Stadtrat wirkt längst wie ein Flächenbrand, der auch die Kulturszene abseits der Kulturhauptstadt zunehmend austrocknet.
Was nach dem eindrucksvollen Wochenende bleibt? Die Erkenntnis, dass die Lage im Kultur- und Sozialbereich nach wie vor prekär ist. Das Bündnis hat angekündigt, auch über die Besetzung hinaus aktiv zu bleiben und ruft dazu auf, sich solidarisch gegen weitere Kürzungen zu engagieren. Der Kampf für eine lebendige Kulturlandschaft ist in Chemnitz also längst nicht beendet, auch nicht im Jahr der Kulturhauptstadt.
Text & Foto: Ottilie Wied