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Karten, die die Welt bedeuten

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Die Katze ist aus dem Sack. Chemnitz erhält mit ChemNetz eine neue Stadtkarte. Das hat uns angeregt, mal darüber zu sinnieren, was Karten eigentlich bedeuten.

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Braucht es noch eine weitere Stadtkarte? Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als ob das digitale Zeitalter mit Google Maps und OpenStreetMap bereits alle relevanten Orte kartiert hat. Doch genau hier setzt das Projekt ChemNetz an: Es geht nicht nur um Navigation, sondern um die Sichtbarkeit von Orten, die oft übersehen werden.

Viele Initiativen und alternative Kulturorte haben keinen Platz auf kommerziellen Karten. Vom Wasserspender für Reisende, über Kulturveranstalter, die erst auf dem größten Zoomlevel angezeigt werden, gibt es viele Beispiele, wie eine Stadtkarte nur genau das zeigt, was der Kartenersteller zeigen will. ChemNetz macht genau diese Orte, die laut Google Maps weniger Relevanz genießen als z.B. städtische Einrichtungen, sichtbar – von freien Werkstätten über alternative Veranstaltungsräume, Calisthenic Parks, Skate Spots bis hin zu gemeinschaftlich genutzten Gärten.

Karten haben bereits seit Jahrtausenden eine unfassbar wichtige Relevanz für die Menschheit und werden allgemein als objektive und neutrale Informationsquelle gesehen, wodurch die Macht, die von diesen Abbildungen ausgeht, sehr verschleiert wird.

Ein eindrucksvolles Beispiel, das viele Menschen kaum noch hinterfragen, sind die Grenzen afrikanischer Länder, die 1884 im Zuge der Berliner Konferenz von europäischen Kolonialmächten willkürlich festgelegt wurden. “Wir waren damit beschäftigt, auf Karten Linien zu ziehen, wo noch nie ein weißer Fuß getreten ist: Wir haben uns gegenseitig Berge, Flüsse und Seen zugesprochen – lediglich behindert durch die kleinen Umstände, dass wir nie genau wussten, wo sich diese Berge, Flüsse und Seen eigentlich befanden.”, so der britische Premierminister Salisbury in 1906. Viele dieser Landesgrenzen existieren auch heute noch genau so und waren in den letzten 125 Jahren nicht selten Grund für Konflikte aufgrund arbiträr getrennter Kulturen und Regierungsregionen, die kaum Gemeinsamkeiten besitzen.

Aber auch im Jahr 2025 sind unsere Karten nicht vor Machtdemonstrationen sicher und alles andere als eine neutrale und unpolitische Informationsquelle. So findet man zum Beispiel den Golf von Mexiko neuerdings auf Google Maps als “Golf von Amerika” auf Drängen der Trump Regierung (während dieser in Mexiko immer noch “Golf von Mexiko” heißt und der Rest der Welt beide Namen sieht). Auch ein Klick nach Israel lohnt sich, neben dem man die Bezeichnung “Gazastreifen” findet, aber das Wort Palästina nirgends lesen kann, obwohl 146 Länder, also 75% aller Länder weltweit, Palästina als eigenen Staat anerkennen. All das macht nochmal besonders deutlich: Karten sind nicht objektiv oder unpolitisch.

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Aber auch abseits der politischen Komponente sind Karten eine Form des Erinnerns oder der Deutung für bestimmte Themen. Vor allem auf gedruckten Karten müssen durch den begrenzten Platz Entscheidungen getroffen werden. So finden sich auf den meisten der älteren Stadtkarten von Chemnitz die Waisen-, Mädchen- und Knabenschule an der Brückenstraße, jedoch nicht das benachbarte Gefängnis im Roten Turm, welches zu dem Zeitpunkt seit mehreren Jahrhunderten existierte, aber nicht auf Stadtkarten vermerkt wurde. Auch das benachbarte Kasino, aus dem “die hellen Klänge fröhlichen Lebens in die dunklen Gemüter der Gefangenen dringen” (“Sachsen in Bildern”, Wieck, 1841), ist heute nur noch auf einzelnen Stadtkarten und in Archiven zu finden und hat trotz seiner 150 jährigen Geschichte nicht mal eine Wikipedia-Seite, um daran zu erinnern. Karten sind Orte des Erinnerns, zeigen Orte der Relevanz und ermöglichen die Geschichte der eigenen Stadt zu definieren.

Vor diesem Hintergrund erscheint ChemNetz als mehr denn je zukunftsweisend. Während etablierte Plattformen oft den kommerziell interessierten Teil der Stadt abbilden, setzt ChemNetz gezielt auf Mitmachkultur, subkulturelle Räume, Spielorte, Trinkwasserstellen und mehr. Es geht nicht nur darum, geografische Daten zu erfassen, sondern auch darum, alternative Lebens- und Kulturräume sichtbar zu machen. Diese Initiative verdeutlicht: Karten können und sollten – bewusst – als Instrumente der Teilhabe und der demokratischen Mitgestaltung genutzt werden. Derartige Karten regen dazu an, zu hinterfragen, wie wir unsere Welt sehen und beschreiben, wie Sprache und Karten die Welt um uns definieren und damit die Wichtigkeit verschiedener Aspekte zeitgemäß einordnen. Und so findet sich auf der Chemnitz Stadtkarte von 1913 im Innenstadtkern der Hauptmarkt als markantester Ort, auf Google Maps in 2025 der Rote Turm als Tourismus Highlight als auffälligstes Merkmal und für ChemNetz das Dokumentationszentrum zum NSU-Prozess als einzigen Kartenmarker im Herzen unserer Stadt. Eine Karte die zeigt, worauf wir in Chemnitz achten sollten - eine Karte für 2025.

Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Karte nochmal kurz in Überarbeitung und wird die Tage wieder verfügbar sein. Mehr Infos findet ihr dann unter: https://www.stadtkarte-chemnetz.de

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