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Liebe Angst, schön, dass du da bist.

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Die aktuelle Edvard Munch Ausstellung in Chemnitz wird wohl noch in Jahrzehnten als ein Leuchtturm in der Geschichte großer Kunstschauen gelten. Nicht ohne Grund markiert sie den Startschuss einer Reihe von Ausstellungen in Deutschland, wie in Dresden und Hamburg, die in den kommenden Jahren den Künstler und sein Werk reflektieren wollen. Chemnitz´ Thema im Jahr der Kulturhauptstadt: „Edvard Munch. Angst“.

Die Eröffnung der Ausstellung Anfang August wirkt förmlich. Eine Frau stellt zu Beginn jeder Rede routiniert ein frisches Glas Wasser aufs Pult – keines davon wird angerührt. Das Opernhaus ist voll. Neben den Redebeiträgen der klugen Frauen der Kunstsammlungen sowie der norwegischen Botschafterin wirken die Ansprachen der Herrschaften von Ministerpräsident Michael Kretzschmar und Oberbürgermeister Sven Schulze fast wie Platzhalter. Und beide geben zu, dass sie nicht die größten Kunstversteher seien. (Vielleicht wird deswegen ja so viel im Kultursektor gekürzt.)

Kuratorin Diana Kopka begrüßt anschließend das Publikum, ebenso aber die Angst mit den Worten „Liebe Angst, schön, dass du da bist.“ Sie sinniert über die Kraft, die Angst freisetzen kann, aber auch über Zustände der Lähmung, welche daraus resultieren. Sie nimmt Bezug auf Edvard Munchs Biografie, die schon in jungen Jahren durch die Tuberkulose-Tode seiner Mutter und seiner Schwester gezeichnet war, aber auch auf seine Zeit in Berlin ab 1892. Damals löste seine erste Ausstellung einen waschechten Skandal aus. Munchs Werke wurden als unfertig diffamiert und stellten einen radikalen Kontrast zur salontauglichen Malerei jener Jahre dar. Die Ausstellung wurde nach einer Woche geschlossen. Seine Kunst, die das Unbewusste sichtbar machte, besaß damals einen noch viel größeren revolutionären Charakter, den später auch die Künstler der „Brücke“ umsetzen. Heute wird er für seine künstlerische Vision als Wegbereiter des modernen Expressionismus gefeiert.

Meine persönliche Spurensuche zu Munch beginnt bereits ganz zufällig im Dezember 2024. Bei meinem Besuch in Oslo werde ich in den Bann des Künstlers Edvard Munch gezogen. Im Munch-Museum studierte ich seine Werke, besuchte sein Grab und versuchte, den Menschen hinter Bildern wie „Das Geschrei“, „Zwei Menschen. Die Einsamen“ oder seiner eigens interpretierte „Madonna“ zu verstehen. Ich bin fasziniert von der düsteren Fragilität seiner Werke, die das Seelenleben seiner Protagonisten ins Außen holt, Beziehungen malerisch seziert und den Blick für das Brüchige im Menschen schärft. Seine Kunst wirkt auf mich wie die Arbeit eines achtsamen Chronisten menschlicher Empfindungen.

Dass Munch nun in Chemnitz gezeigt wird, ist kein Zufall. 1905 verbrachte er mehrere Wochen hier, um die Unternehmerfamilie Esche zu porträtieren. Werke aus dieser Zeit, wie z.B. ein Portrait von Herbert Eugen Esche, sind ebenso in der Ausstellung zu sehen. Witziger Side-Fact an dieser Stelle: Herbert Esche war selbst gar nicht zufrieden mit dem Werk. Er konnte sich nicht damit identifizieren, da die Rückenlehne, die vor dem roten Hintergrund sehr hervorstach, zu sehr nach überdimensionalen Schulterklappen aussahen.

Bereits zu seiner Zeit in Chemnitz trank Munch viel und litt unter seelischen Problemen, die 1908 nach einem Nervenzusammenbruch in einem Klinikaufenthalt in Kopenhagen gipfelten. Vor dieser Zeit nahm Munch viele Auftragsarbeiten in Deutschland an, viele Ausstellungen folgten, ebenso gelang sein kommerzieller Erfolg hierzulande.

Ein Werk, das mich sowohl in Chemnitz als auch in Oslo nicht mehr losließ, ist Munchs „Madonna“. Auf das Nötigste reduziert, rankt eine Frauenfigur oberkörperfrei auf dem Bild empor. Ihre Haare verschmelzen mit dem dunklen Hintergrund, die Augen geschlossen irgendwo zwischen lustvoll und erschöpft. Ein glühend roter Rahmen umschließt sie, durchzogen von Spermien.

In dem Bild verschmelzen viele Themenbereiche, die Munch wichtig waren: Leben, Liebe und der Tod. Auch zeigt, wie nah Eros und Vanitas aneinander liegen. Und er wagt es, die Heilige in einer Pose zu zeigen, die eher lasziv wirkt statt segnend. Auch ihr roter Heiligenschein könnte ein rotes Barett der Pariser Prostituierten der damaligen Zeit symbolisieren.

Egal ob in Oslo oder Chemnitz: Munchs Werke berühren, weil sie Emotionen in Bilder übersetzen. Sie verraten viel über ihren Schöpfer und spiegeln zugleich unsere eigenen Lebenswelten wider. Munch selbst sagte hierzu einst: „Durch meine Kunst habe ich versucht, mir das Leben und seine Bedeutung zu erklären. Dabei wollte ich auch anderen helfen, sich mit ihrem Leben auseinanderzusetzen.“

Text: Ottilie Wied / Foto: Kunstsammlungen Chemnitz

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