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„Man wird ja wohl noch … dürfen!“

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In einem Shoppingschuppen unserer Stadt Chemnitz sind momentan Cartoons zu betrachten, die auf vielen Ebenen fragwürdig erscheinen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir „Suspekt – Trans-Fette“. Es zeigt korpulente, geschminkte und Fakebusen tragende Tiere von Hirsch bis Hahn, die sich vor pinken Hintergrund räkeln. Geeint werden in dem Bild lediglich transphobe Stereotype, gepaart mit Fetischisierung der Lebensumstände von Transpersonen. Es wirkt so hinterwäldlerisch und befördert mich ad hoc in weltanschauliche Zustände weit vor unserer Zeit.

Noch lange nach Betrachten der Bilder verblieb ich mit Unverständnis und Empörtheit. Doch warum reagiere ich so erregt und wie hat sich unser Umgang zu gesellschaftlich relevanten Themen gewandelt?

Zunächst nochmal zur näheren Einordnung der Bilder: Was sich als roter Faden durchzieht, ist die salzig schmeckende Brise an mittelalterlichen Stereotypen von Männern und Frauen, sowie das gezielte Sexualisieren von weiblich gelesen Körpern.

Eine perfekte Komposition dessen sieht man in „Scharfe Küche“, in dem sich ein Lustmolch an Koch über eine Paprika mit den Proportionen 90-60-90 hermacht. Dieser männlich heterosexuelle Blick, welcher im wahrsten Sinne des Wortes objektifiziert, ist der Beigeschmack, der bei allem Gezeigten mitschwingt. Absolut schmackhaft.

Grundsätzlich ist es eine positive Entwicklung unserer Zeit, dass Benachteiligung oder konstruierte Rollenklischees mich und andere aufwühlen. Durch eine gesteigerte Empathie und Verständnis zu den großen und kleinen Herausforderungen unserer Mitmenschen, erkennen wir leichter Ungerechtigkeiten und fangen dadurch auch an, bisherige Gegebenheiten zu hinterfragen. Wir entwickeln dadurch eine neue Sensibilität, die Menschen dazu bewegt, diese Missstände aufzudecken und sich dagegen zu wehren. In den letzten Jahren ist dies in einem immer größeren Ausmaß passiert: Viele Menschen haben im Rahmen der „Black Lives Matter“- oder „MeToo“-Bewegung ihre Stimme erhoben und ihre Erfahrungen geteilt.

An dieser Stelle sollte man sich also fragen, warum unsensibles Verhalten früher so selbstverständlich unter den Tisch gekehrt wurde. Es kommt einem manchmal wirklich so vor, als wurde Benachteiligung als gottgegebenes Recht angenommen. Diskriminierendes Verhalten oder auch Strukturen wurden schlichtweg nicht als solches verstanden und infolgedessen nicht nachhaltig hinterfragt. Der gesamte Reflexionsprozess, der das Erkennen von eigenen Privilegien bis hin zum Eingestehen des eigenen Fehlverhaltens benötigt, stand noch in den Kinderschuhen. Trotz allem ist der Prozess der Sensibilisierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen und ein offener Diskurs somit von fundamentaler Wichtigkeit.

Nach einem kurzen Telefonat mit dem Urheber der Werke, kristallisierte sich heraus, dass hier keine Bosheit vorliegt, sondern vielmehr Unwissenheit und Unaufgeklärtheit.

Dass wir im Jahr 2022 in Chemnitz eine Ausstellung mit derartigen Bildern haben, zeigt, wie notwendig es ist, weitere Beiträge zur Sensibilisierung zu leisten, sowie uns und anderen Perspektiven aufzuzeigen. Trotz der positiven Entwicklung der letzten Jahre wird es daher auch weiterhin wichtig sein, rassistische, sexistische und andere Formen von diskriminierendem Verhalten nicht zu dulden oder gar zu legitimieren. „Man darf XY doch noch machen dürfen“ ist in dem Moment dann einfach kein gutes Argument, wenn im selben Zug die Grenzen und Gleichheit anderer Menschen überschritten werden.

Bei meinem anfänglichen Beispiel „Suspekt – Trans-Fette“ ist diese Grenze meilenweit überschritten. In dem tagtäglichen Alltag von Transpersonen ist wahrscheinlich weniger das Problem, ob der Busen richtig sitzt, sondern vielmehr, wie man zur rechtlichen und gesellschaftlichen Anerkennung des eigenen Geschlechts gelangt, ohne Diskriminierung und Hass ausgesetzt zu sein.

Text: Ottilie Wied / Foto: micheile.com

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