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Als ich neun Jahre alt war, bin ich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern aus Kaschau (Košice) in der Slowakei nach Chemnitz gekommen.
Meine Mutter wollte immer raus aus der Slowakei. Sie hat dort viel und hart als Kellnerin gearbeitet und parallel meine drei älteren Schwestern und mich allein großgezogen, meinen Vater kenne ich nicht.
Da meine Mutter so viel gearbeitet hat, sind wir damals oft bei meinen Großeltern gewesen. Wir haben generell in sehr einfachen Verhältnissen von einem Tag zum nächsten gelebt: manchmal hatten wir genug zum Leben, manchmal hatten wir kaum etwas. Was unseren Wohlstand angeht, bin ich dankbar dafür, heute in Deutschland leben zu können und habe großen Respekt vor dem, was meine Mutter für uns geleistet hat. Sie ist die stärkste Person, die ich kenne – eigentlich brauche ich nichts außer sie.
In meiner Heimat war ich als Kind häufig draußen unterwegs und habe auf allem herum getrommelt, was ich gefunden habe. Dort gibt es überall Musik, was ich als Musiker in Chemnitz sehr vermisse. Generell fehlen mir offene Orte, an denen man gemeinsam und ungezwungen musizieren kann.
In meinem Leben habe ich die Menschen in der Slowakei freundlicher und herzlicher erfahren als die Chemnitzer*innen. In meinem Land haben die meisten Menschen kaum etwas, lachen aber trotzdem und sind glücklich. Sie zeigen Liebe und verbreiten Liebe! Klar gibt es auch dort Neid und Rassismus, aber dort macht es mir irgendwie weniger aus.
Mir sind hier einige Menschen begegnet, die es nicht akzeptieren wollen, dass ich als Mensch aus einem anderen Land nach Chemnitz gekommen bin und hier mein Leben führe. Auf der einen Seite kann ich sie verstehen, da ich es auch problematisch finde, dass junge Menschen mit Fluchterfahrungen hier schnell mit illegalen Milieus wie zum Beispiel Drogenverkauf in Kontakt kommen. Was meist jedoch nicht gesehen und berücksichtigt wird, sind die Dinge, die sie in ihrem Leben bereits durchmachen mussten. Ein friedliches Zusammenleben kann nur funktionieren, wenn beide Seiten Verständnis füreinander entwickeln und nicht übereinander urteilen.
Wenn mich jemand blöd anmacht, gehe ich darauf meistens erst gar nicht ein, weil ich dann denke, dass mein Verhalten schnell generalisiert werden könnte und dann auf andere Menschen zurückfällt, die eine Migrationsgeschichte haben. Manchmal gibt es aber auch Momente, wo mir das nicht leicht fällt und ich wütend werde. Dann sage ich meist einfach laut, was ich denke, und ein paar Mal war dabei auch die Polizei involviert.
Als Kind war Chemnitz eine Traumstadt für mich, heute möchte ich unbedingt hier weg. Ich spüre viel Kälte, deshalb habe ich auch jetzt, trotz des warmen Wetters, die Jacke an.
Eine richtig coole Stadt ist für mich zum Beispiel Frankfurt am Main, die Skyline und die Stimmung – einfach krass. Wenn ich meine Schule beendet habe, möchte ich aber zunächst nach Leipzig.
Seitdem ich gemeinsam mit meiner Familie und Freund*innen die Band Rudika gegründet habe, hat sich vieles zum Positiven geändert. Ich bin viel offener geworden und war automatisch mehr unter Leuten und draußen unterwegs – die Musik hat mir ein neues Gefühl von Freiheit gegeben. Es sind kleine Momente, die mir das immer wieder bewusst machen. Zum Beispiel wenn die Band mich abholt – das Auto voller Instrumente - und wir einfach losfahren, um gemeinsam Musik zu machen oder zu einem Auftritt zu fahren. Oder auch die Tage im Jugendklub Heilse, wo wir oft gemeinsam sind, Billard spielen, lachen, Mädels kennenlernen und einfach eine gute Zeit haben. Sonnige Tage am Schlossteich mit meinen Freunden.
Unsere Bandgeschichte hat eigentlich im Chemnitzer Kreativzentrum begonnen – dort habe ich das erste Mal Schlagzeug gespielt, dann haben wir immer in verschiedenen Jugendclubs rumgehangen und Stück für Stück unsere Band aufgebaut. Mittlerweile sind wir fünf Bandmitglieder und schon das ein oder andere Mal in Chemnitz aufgetreten. Unser Traum ist es, einmal außerhalb von Chemnitz auf unsere eigene Tour zu fahren und dabei ein Konzert in Bratislava zu spielen.
Mit meiner Musik möchte ich andere Menschen bewegen und sie dazu bringen, dass sie Spaß haben, abschalten können und das tun, worauf sie Lust haben. Wenn es mit der Band auf lange Sicht nicht klappt, könnte ich mir auch vorstellen, Frisör zu werden – ich schneide wahnsinnig gerne Haare!
Mein persönlicher Traum für Chemnitz wäre eine Art internationales Musikzentrum, eine Begegnungsstätte, wo man ohne Leistungsdruck Musik machen kann.
Generell wünsche ich mir für die Stadt, dass es hier zwischenmenschlich nicht mehr so kalt ist. Dass man sich, egal woher man kommt, hier wohlfühlen kann, die Menschen offener werden und miteinander leben, bis es keinen Rassismus mehr gibt. Denn wir brauchen keinen Rassismus.
Text: @chemnitz.untold / Foto: Johannes Richter