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Soul Studios - Was Momente bedeuten

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Batul Al-Aidi hat im November 2022 mit 20 Jahren ein neues Tanzstudio in Chemnitz eröffnet, aber bis dahin war es ein weiter Weg. Eine Geschichte über Leidenschaft, Hoffnung, Geduld und Mut, deren Erzählstrang sich vom Libanon, über Afrika, Frankreich, Berlin bis hin nach Mittweida und Chemnitz streckt. Ursprünglich sollte dieser Artikel nur die Vorstellung eines jungen und modernen Tanzstudios werden, aber Batul und ihre Passion stehen für mehr - für eine neue Identität unserer Stadt, für Zusammenhalt, für den Mut junger Menschen und die Frage, wer wir 2025 und darüber hinaus sein wollen.

Soul Studios, so der Name der Tanzschule, begeistert mit einem frischen Wind, neuen und modernen Tanzkursen, sehr privater und freundschaftlicher Atmosphäre und viel, viel Herzblut. Der Erfolg und die vielen positiven Rückmeldungen vor Ort und auf Social Media zeigen, wie

sehr ihre Schüler:innen es genießen, die eigenen Gedanken und den eigenen Körper im Tanz zu erkunden. Viele ihrer Schüler:innen waren eingeschüchtert vom Ansatz traditioneller Tanzschulen und bevorzugen vor allem das familiäre Ambiente. “Laufen musstest du auch erst lernen, warum solltest du dann nicht Tanzen lernen dürfen?”, so ihre rhetorische Frage.

Bei einem Gespräch vor Ort haben wir einfach mal nachgefragt, wie sie dazu kam, bereits mit 20 Jahren diesen mutigen Schritt zu wagen.

Geboren wurde sie im Libanon, in einem Land, das von einem 25-jährigen Bürgerkrieg zerrissen wurde und auch heute noch mit Hungersnot und terroristischen Angriffen zu kämpfen hat. “Es ist immer noch viel unnutzbar und voll von Extremen. Es gibt Straßen, die komplett von Bomben zerstört wurden und 100 Meter weiter findet man teure Autos, Strände und die Schönen und Reichen”, so Batul über ihre Eindrücke im Libanon. Ihre Familie entschied sich daher schon früh, das Land zu verlassen und floh über Afrika, Frankreich und Berlin, bis sie dann für eine längere Zeit in einem Asylheim in Mittweida untergekommen sind.

Im Alter von 6 Jahren verlor Batul ihre Mutter. In einem Moment, in dem ihre Familie, die für ihre Mutter lebenswichtige Unterstützung am Dringendsten brauchte, wurde diese von einem Beamten der Ausländerbehörde, der sich in diesem Moment vor Ort befand, verwehrt. Er weigerte sich, die Mutter ins Krankenhaus zu fahren. Fünf Minuten Menschlichkeit und ihre Mutter hätte überlebt. “Da habe ich gelernt, was Momente bedeuten.”

In der Schule wurde sie ausgegrenzt und gemobbt, Rassismus als steter Begleiter ihres Schulalltages. Dazu mangelnde Sensibilität für solche Probleme auf Seiten des Lehrpersonals, das ihr in dieser Situation auch noch die Schuld zuschiebt und es nicht schafft Verständnis und Unterstützung für ein junges Mädchen zu schaffen, die alles Erdenkliche versucht, um sich ihren Platz in diesem Leben zu erkämpfen. Und das tat sie.

Als erste Schülerin mit Laptop in der Schule war sie Wegbereiterin für Änderungen in der Hausordnung und einen neuen Umgang mit Technologien und Medien in der Schule. Als Schülersprecherin setzte sie eine Erlaubnis für die Nutzung digitaler Medien im Unterricht ab der 9. Klasse durch und schaffte im Alleingang einen Anstoß für das Umdenken der Lehrkräfte im Umgang mit den Schüler:innen, die dadurch zukünftig wichtige Aspekte der Medienkompetenz lernen und ihnen nun auch mehr Hilfsmittel für selbständiges Lernen zur Verfügung stehen.

Der Mut und der Wille, sich mit 20 Jahren um ihre eigene Tanzschule zu kümmern, ist keine unbedachte und spontane Gedankenlosigkeit. Batul hat in ihrem Leben mehrfach bewiesen, dass sie weiß, was sie will und ihr Können unter Beweis gestellt. Der Tanz spielt dabei für sie eine besondere Rolle. Schon mit 13 Jahren gab sie Tanzunterricht für jüngere Kinder, zuerst als Unterstützung für erwachsene Tanzlehrer:innen, aber dann relativ schnell auch in eigenen Kursen. Mit Hilfe ihres Bruders gründete sie dann im Alter von 16 Jahren ihr eigenes Gewerbe, was mit Kursen für Kinder und junge Menschen von 10 bis 20 Jahren bereits alle ihre Fixkosten finanzieren konnte.

Der nächste große Schritt kam dann im November 2021, ein Moment, bei dem ihre Augen auch heute noch merklich aufleuchten, wenn sie daran denkt. Sie war auf der Suche nach einem Ort, der ihrer Idee von Tanz, ihrer Liebe zur Bewegung eine neue Bühne geben könnte, und betrat zum ersten Mal den Ort in der Ermafa Passage, der ihr erstes eigenes, großes Tanzstudio werden sollte. “Sechs Jahre stand das leer und dann kam ich”, so Batul mit einem hoffnungsvollen und dankbaren Glänzen in ihren Augen. In nur einem Jahr verwirklichte sie das Potenzial des Raumes mit ihrem Vermieter und weiß stolz über jeden Aspekt ihres Studios zu berichten.

Auch wenn im ersten Moment ihr junges Alter ins Auge fällt, Batul ist Vollblutprofi und das merkt man im Gespräch mit ihr sofort. 7 Jahre Erfahrung in ihrer Leidenschaft, 7 Jahre Erfahrung als Lehrerin und 20 Jahre Erfahrung, sich entgegen aller Widrigkeiten nach vorn zu kämpfen. Die nächsten Ideen für ihr Tanzstudio sind auch schon in Planung, um ihren Traum nachhaltig zu finanzieren. Ihr Tanzangebot wurde ständig erweitert, und bietet neben dem überall verfügbaren Kindertanz und Zumba, auch Tänze, die man in anderen klassischen Tanzstudios länger suchen muss, so unter anderem Commercial, Jazz Funk, Contemporary, das feminine Heels oder auch Salsa und Bachata. Buchung und auch Veranstaltungen und Parties im Soul Studios sind bereits angedacht.

Zukünftig soll es auch möglich sein, die Flächen der Tanzschule für Privat- aber auch Firmenfeiern zu buchen.

Auch dem Alltagsrassismus begegnet sie inzwischen etwas gelassener. Ein Kommentar, den sie immer wieder hört: “Ach, Sie sprechen ja gutes Deutsch.” Ihre Antwort: “Ja, sie aber auch!”. Diesen Funken Humor und Direktheit sollten wir uns auch in Chemnitz etwas mehr zu Herzen nehmen und vielleicht, aber nur vielleicht, können auch wir als Stadt und Gesellschaft von ihrer Geschichte etwas lernen.

Nach einem langen und angenehmen Interview, war Batul bereits im nächsten Moment - ihre 500m² Boden bedürfe auch noch ihrer intensiven Aufmerksamkeit, um für ihre Schüler:innen zu glänzen. Wir bedankten uns für das Gespräch und verabschiedeten uns mit dem sicheren Gefühl, dass wir hier eine erfolgreiche und talentierte Person kennengelernt haben, die in Zukunft mit ihrem eigenen Weg und viel Menschlichkeit noch viele Menschen berühren und inspirieren wird.

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