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The Sound of Benjamin Reiners

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Benjamin Reiners prägt schon vor seiner ersten Spielzeit als neuer Generalmusikdirektor die musikalische Handschrift der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie. Mit Premieren wie Verdis La traviata oder auch Crossover-Projekten mit der lokalen Band Blond beim Kosmos-Festival sieht man bereits, dass sich hinter den Kulissen der Philharmonie viel bewegt.

Musikalisch sind Sie bereits viel rumgekommen. Sie haben schon in München am Gärtnerplatztheater dirigiert, an der Staatsoper Hannover und auch am Theater Kiel. Wie sind Sie in das Abenteuer Chemnitz gestartet?
„Für mich war es ganz besonders. Mein erstes Sinfoniekonzert hier war im April Robert Schumanns ‘Rheinische Sinfonie’. Das passte perfekt: Schumann, nach dem das Orchester benannt ist, und die rheinische Fröhlichkeit, die ich mitbringe. Ich stamme aus dem Ruhrgebiet und fand in diesem Stück eine Brücke zwischen Herkunft und Wirkungsstätte. Dass diese Lebensbejahung in Chemnitz auf fruchtbaren Boden trifft, hat mich sehr gefreut und motiviert.“

Wie haben Sie Chemnitz in den ersten Monaten erlebt?
„Chemnitz wirkt gerade viel lebendiger, als ich es aus der Vergangenheit kenne. Beim Mittagessen sind oft Touristen am Nebentisch und alle sind positiv beeindruckt - ein ermutigendes Zeichen im Kulturhauptstadtjahr. Mir ist Chemnitz auch grundsätzlich sehr sympathisch, weil ich in Duisburg am Rhein geboren bin, einer Stadt im Ruhrgebiet, die auch sehr stark von Industrie und Arbeit geprägt ist und mit ähnlichen Strukturproblemen zu kämpfen hatte, nachdem die Industrie weggebrochen war. Nach einer sehr geradlinigen Karriere wollte ich mich neu orientieren und den Sprung in ein größeres Orchester mit mehr Gestaltungsspielraum wagen und Chemnitz ist da eigentlich genau das, was ich gesucht habe.”

Wie empfinden Sie die Publikumsresonanz in Chemnitz und welche Herausforderungen sehen Sie in der Gewinnung neuer Zuhörer:innen?
„Das Chemnitzer Publikum ist erstaunlich begeisterungsfähig! Da ist richtig gute Stimmung. Es trifft schon zu, dass das klassische Opern- und Konzertpublikum tendenziell älter ist und jüngeres Publikum zu erreichen ist da definitiv unsere größte Herausforderung. Ich weiß auch, dass Chemnitz in der Vergangenheit viel Zuspruch durch Opernenthusiasten hatte, die extra für bestimmte Produktionen hierher gereist sind. Diese Besucher fehlen momentan, kehren aber durch die Impulse der Kulturhauptstadt allmählich zurück. Genau hier liegt auch eine enorme Chance für uns, indem wir mit unseren Werken auch über 2025 hinaus Touristen für kulturelle Wochenenden in Chemnitz begeistern.”

Wie wollen Sie die Philharmonie weiterentwickeln?
„Der Grundgedanke ist, Bewährtes und Innovatives zu verbinden. In den nächsten Spielzeiten setzen wir auf sinfonische Hauptwerke aus dem Kanon, die leicht zugänglich sind und kombinieren sie mit neuartigen Stücken. Aber wir müssen allgemein neue Wege gehen und das geht nur, wenn wir auch immer unsere eigenen Konzertformate hinterfragen. Muss es wirklich immer ein langes Konzert sein? Muss es immer eine Ouvertüre, ein Solokonzert oder eine Symphonie sein? All das sind Punkte, die wir diskutieren und anpassen wollen, um möglichst viele Menschen in Chemnitz, und natürlich auch darüber hinaus, zu erreichen.”

Können Sie bereits konkrete neue Formate nennen?
„Ja, im Carlowitz-Saal der Stadthalle, also dem kleinen Saal, planen wir zum Beispiel das Format ‘Im Klang’. Hier sitzt das Publikum mitten im Orchester. Genauer gesagt, ist das Orchester über den ganzen Saal verteilt. So erlebt man eine Sinfonie nicht nur von außen, sondern im kollektiven Klangraum und sitzt dabei neben dem Kontrabass oder dem zweiten Horn. So wird die körperliche Erfahrung der Musik spürbar. Vielleicht wechselt man sogar im Verlauf des Abends den Platz, um unterschiedliche Perspektiven zu gewinnen.“

Zum Abschluss: Wie würde denn Chemnitz klingen, wenn es eine Sinfonie wäre?
„Dazu haben wir tatsächlich ein Experiment: Im 3. Sinfoniekonzert der nächsten Spielzeit stellen wir ‘Sonic Tales of Industry’ vor. Es wird sich explizit mit den Klängen der Chemnitzer Industrie auseinandersetzen, indem wir Liveklänge aus der Industrieproduktion verarbeiten und mit den Klängen des Orchesters kombinieren. Ich bin mir sicher, dass es nicht nur purer Wohlklang sein wird, aber vielleicht darf der Sound von Chemnitz auch mal ein bisschen schroff, rau und schmutzig sein.”

Text: Ottilie Wied / Foto: Nasser Hashemi

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