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Vom Erzählen unerzählter Geschichten

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Es war das Frühjahr 2022 als Katha und Ahmed am Lagerfeuer saßen. Sie diskutierten den gerade veröffentlichten Film „Chemnitz triggert“. Eine Dokumentation über Betroffene von Rassismus und rechter Gewalt in Chemnitz nach 2018. Gemeinsam mit Johannes, einem befreundeten Fotografen, entstand die Idee, einen Fotoblog aufzubauen, um weiter aus dem Leben von Chemnitzer:innen, die eine internationale Geschichte haben, zu erzählen.

Und so war „Chemnitz Untold“ geboren, bestehend aus einer Website und einem Instagram Kanal mit vorerst zehn digitalen Portraits von Menschen mit internationaler Geschichte. Portraits wie das von Wedeb, das ihr in dieser Ausgabe lesen könnt. Dafür trifft sich das ehrenamtliche Team bei den Leuten zuhause oder an Orten, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Wichtig ist, dass die Protagonisten ihre Geschichte selbst erzählen können. Manche haben schlechte Erfahrungen mit Medien. Wenn dort Vielfalt überhaupt thematisiert wird, dann wird über sie geredet und das, was sie gesagt haben, nicht korrekt wiedergegeben. Bei Chemnitz Untold finden sie Gehör und fassen so auch Mut und neues Vertrauen.

„Bei unserer Geschichte von Valentin habe ich immer einen Kloß im Hals, ich werde sie nie vorlesen können“, sagt Fatima. Die Radiomoderatorin ist als eine der Portraitierten zu Chemnitz Untold gekommen und geblieben. Obwohl sie hier seit 2000 lebt, sei sie immer noch kein Fan der Stadt. Aber durch das Projekt bekommt sie mit, dass sich etwas bewegt. „Ich bewundere, wie mutig und zuversichtlich die Menschen, die wir getroffen haben, ihr Leben in Chemnitz gestalten, obwohl sie in ihrem Alltag hier oft Ablehnung und Rassismus erfahren. Das steht sehr gegensätzlich zu vielen alteingesessenen Bürger:innen, die so Einiges zu meckern haben.“ betont Initiatorin Katha. Chemnitz Untold kommt also trotz des Ansatzes, auch das weltoffene Chemnitz zu zeigen, nicht um das Thema Rassismus herum. Die Geschichte von Wedeb, das Racial Profiling, das er erlebt hat, ist dafür ein Beispiel.

Diese Geschichten wurden auf dem Kosmos Chemnitz Festival 2022 zum ersten Mal vorgestellt und haben inzwischen in verschiedenen Lesungen ihren Weg zu den Menschen gefunden – zuletzt auf dem Weihnachtsmarkt. Am bewegendsten ist Katha die Begegnung mit den Menschen im Pflegezentrum Chemnitz in Erinnerung geblieben, wo sie und die Protagonistin Sara Alagha die Geschichten vorgelesen haben. „Trotz einigen ersten Unsicherheiten aus dem Auditorium, kam es bald zu einem bewegenden Austausch zwischen den alten Menschen und Sara. Durch die eigenen Erinnerungen an Kriegserfahrungen, konnten viele der Besucher:innen eine Verbindung zu den Geschichten aufbauen,“ erzählt Katha.

Aktuell führt das Team von Chemnitz untold Gespräche für die nächste Ausgabe. Die Geschichten sollen auch in Audiomitschnitten oder als Film zugänglich gemacht werden. Katha und Fatima möchten mehr Menschen mit den Geschichten erreichen, auch außerhalb der eigenen Blase. Könnten sie mit dem Oberbürgermeister reden, würden sie sich eine freundlichere Verwaltung und mehr Beteiligungsmöglichkeiten wünschen.

Nach unserem Interview müssen Katha und Fatima weiter. Einer ihrer Interviewpartner hat sie zum Abendessen eingeladen.

Wer seine Geschichte erzählen oder gerne selbst an dem Projekt mitarbeiten möchte, kann dem Team per E-Mail an: chemnitzuntold@gmail.com oder per direkt-Nachicht über Instagram an @chemnitz.untold schreiben.

Wadeb

Anfang Juli 2014 habe ich mein Heimatland Eritrea verlassen. Eritrea ist eine Art Polizeistaat, in dem es prinzipiell zwei Wege für Männer gibt: entweder man geht zur Schule oder zur Armee. Ich bin zur Schule gegangen, war allerdings kein guter Schüler und hatte dann Angst zur Armee zu müssen - deshalb wollte ich ausreisen. Zuerst bin ich eine Woche in Äthiopien gewesen und dann drei Tage lang zu Fuß und mit Mitfahrgelegenheiten weiter in den Sudan gefahren. Dort bin ich eineinhalb Monate geblieben, konnte aber schwer Fuß fassen. Also bin ich per Pick Up weiter nach Libyen gefahren.

Unterwegs gab es kaum etwas zu trinken und zu essen oder Möglichkeiten auf die Toilette zu gehen. Viele der Mitfahrenden haben an der Grenze Geld bezahlt, um in die Hauptstadt Libyens einreisen zu können, um etwas zu essen. Einige hatten durch den Nahrungsmangel auch körperliche Beschwerden. Dort habe ich versucht, einen Platz auf einem Schiff nach Europa zu bekommen. In Italien bin ich dann von Bord. Erst nach Napoli, dann Rom, München und schließlich Chemnitz. Damals haben viele Flüchtende gesagt, dass sie aus Eritrea sind, da so die Chancen hoch waren, Asyl zu bekommen. Als ich hier ankam wurden mir viele Detailfragen gestellt, um herauszufinden, ob ich, was meine Herkunft angeht, die Wahrheit sage. Nachdem mein Asylantrag akzeptiert wurde, begann ich eine Ausbildung als Tischler in Döbeln.

In Eritrea hatte mich mein Vater bereits seinen Beruf als Schweißer gelehrt und ich konnte gut daran anknüpfen. Als ich meine Ausbildung fertig hatte, habe ich über einen Freund aus meinem Volleyballteam ziemlich schnell einen Job in einer Tischlerei gefunden. Obwohl mein Chef kein Englisch und ich schlecht Deutsch sprechen konnte, fanden wir Möglichkeiten, uns zu verständigen – das war teilweise sehr lustig. Generell waren meine Arbeitskolleg:innen freundlich und haben mir viel geholfen. Zu dieser Zeit bin ich auch Vater geworden und dann aus Döbeln zurück nach Chemnitz gezogen, wo meine Freundin wohnt. Mittlerweile arbeite ich für einen anderen Betrieb, da der Arbeitsweg mit Kind schnell zu lang war. In meiner freien Zeit liebe ich es, Fahrrad zu fahren und bin auf der Suche nach einem Team, denn allein ist das auch manchmal langweilig. Außerdem produziere ich eigene Rap-Musik zu Hause. Ich schreibe über mich und mein Gefühl von Wahrheit – darüber, was ich erlebe.

Einen großen Teil nehmen dabei negative Erlebnisse mit der Polizei ein, ich werde nämlich ständig kontrolliert, mindestens 2-3-mal pro Woche. Dann muss ich zum Beispiel vom Fahrrad steigen und sie prüfen, ob es meins ist. Oft muss ich auch meine Schuhe und Socken ausziehen, weil sie denken, dass ich Marihuana verkaufe. Am Chemnitzer Hauptbahnhof hat mich mal ein Polizist in Zivilkleidung gefragt, ob ich ihm Drogen verkaufen kann – auch nach mehrfachem Verneinen meinerseits hat er auf mich eingeredet, bis endlich mein Zug kam. Dann hat er mir seinen Dienstausweis gezeigt und ich bin richtig erschrocken. Rassismus im Alltag erlebe ich persönlich hauptsächlich durch die Polizei und würde daher auch nie selbst die Polizei rufen, wenn mir etwas passiert – ich vertraue ihr nicht. Erfahrungen mit Polizist:innen wie diesen sind nichts, was es speziell nur in Chemnitz oder Döbeln gibt – die könnte ich überall haben. Ich lebe sehr gerne in der Stadt und möchte mir hier etwas aufbauen und mich selbstständig machen. Zum einen mit der Musik, aber auch mit Essen – letztens habe ich das erste Mal in der Probierküche Z13 vom Späti auf dem Sonnenberg gekocht.

Ich könnte mir gut vorstellen, ein eigenes Restaurant mit eritreischer Küche zu betreiben. Wenn ich es schaffe, möchte ich außerdem dieses Jahr auch ein Musikvideo zu einem meiner Songs produzieren – ich wünsche mir, dass auch wenn Menschen nicht so gut hören oder die Sprache verstehen können, sie meine Musik fühlen können. Auch als DJ habe ich schon gearbeitet – im Atomino und auf ein paar kleinen Festivals in der Stadt. Den Chemnitzer:innen würde ich gerne sagen, dass sie nicht schlecht über Menschen mit einer anderen Hautfarbe denken sollten, bevor sie nicht mit ihnen geredet haben. Meine Landsleute würde ich gerne ermutigen, sich eine Arbeit zu suchen. Ich hatte sehr viel Glück, schnell einen Job zu finden und mir hat das sehr geholfen. Zu Arbeiten ist wichtig, um mit Menschen in Kontakt zu kommen, sich etwas aufbauen und so ein gutes Leben hier führen zu können. Menschen verschiedener kultureller Hintergründe müssen sich einander anpassen, um einen Alltag zu gestalten, der für alle angenehm ist. Nur so kommt man beieinander an.

Text: Anna Lanfermann / Katha von Sterni Foto: Johannes Richter

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