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Von der Demokratisierung der Kunst

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Das Kunstfestival Begehungen findet dieses Jahr erstmals nicht in Chemnitz statt. Das ehemalige Erzgebirgsbad in Thalheim wird Veranstaltungsort sein.

Kulturhauptstadt Europas 2025 - was soll das werden? Diese Frage stellen sich viele Menschen. Dabei steht die Antwort im sogenannten Bidbook drin. 54 Projekte sind dort aufgeführt und da es bis 2025 noch ein bisschen Zeit ist, stellen wir von nun an eins in jeder 371-Ausgabe vor.

Diesmal: Kunstfestival Begehungen

Das Kunstfestival Begehungen findet dieses Jahr erstmals nicht in Chemnitz statt. Das ehemalige Erzgebirgsbad in Thalheim, knapp 15 Kilometer von Chemnitz entfernt, wird Veranstaltungsort sein. Dieser Schritt nach draußen hängt direkt mit dem Thema Kulturhauptstadt zusammen. „Wir haben 2020 verschiedene Vorschläge gemacht, wie sich die Begehungen in dieses Thema einbringen können. Einer davon war, mit unserem Festival ins Umland zu gehen. Dieser Vorschlag wurde angenommen und schaffte es in das finale Bid Book“, erklärt das Begehungen-Team auf Nachfrage.

Thalheim ist eine von knapp 30 Kommunen im Chemnitzer Umland, welche die Bewerbung der Stadt um den prestigeträchtigen Titel aktiv mitgetragen haben. Deshalb trägt Chemnitz den Titel nun genaugenommen nicht allein, er wurde der ganzen Kulturregion verliehen.

Seit Frühjahr 2021 haben die Begehungen-Menschen intensiv an der Umsetzung dieser Idee gearbeitet. Die Entdeckung des Erzgebirgsbads als Festivalort beruht dabei auf einem Vorschlag des Thalheimer Bürgermeisters Nico Dittmann. „Wir waren nach einer Besichtigung sofort begeistert. Für unsere Festivalidee ist das eine einmalige Gelegenheit“, erklären die Macher*innen die Entscheidung.

Nach eigener Aussage verbindet sich mit dem Erweitern des Aktionsradius auch eine Erweiterung der Festivalidee. Grundsätzlich betrachtet sich das Festival als niedrigschwelliges Angebot zum Kunstgenuss. Das eintrittfreie Festival schafft es schon immer, ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, gerade auch eher „kunstferne“, zu aktivieren. Nun aber soll das Publikum nicht nur Schauen und Staunen kommen, vermehrt soll es konkret mitwirken. Dabei will das Begehungen-Team aktiv in die aktuelle Debatte um die Demokratisierung der Kunst eingreifen.

Diese Debatte nahm vor drei Jahren wieder Fahrt auf. Einen wichtigen Aspekt bilden darin Fragen nach der kuratorischen Hoheit. Wie kommt das, was wir in Ausstellungen sehen, zusammen? Welche Idee liegt der Ausstellung zugrunde? Wer trifft die Auswahl? Welche Künstler*innen haben die Möglichkeit auszustellen, welche nicht? Die Antwort ist sowohl für öffentliche Museen, wirtschaftliche arbeitende Galerien und Kunstmessen recht eindeutig. Fast immer ist es eine akademisch geschulte Elite, die den Zugriff auf die Kunstwerke ausübt. Darüber hinaus stehen nicht selten, gerade bei zeitgenössischer Kunst, monetäre Aspekte im Vordergrund. Das muss der Qualität des Kunstschaffens nicht abträglich sein, zumindest kann man dafür keine Beweise finden. Auch die Quantität leidet keineswegs. Kunst gibt es zuhauf. Was aber leidet, so der allgemeine Tenor im Diskurs, ist das Verständnis breiter Bevölkerungsschichten für Kunst, speziell für aktuelle Kunst.

Die Begehungen umreißen ihren Blick auf die Debatte wie folgt: „Demokratisierung der Kunst heißt für uns nicht eine Anbiederung an einen vermeintlichen Massengeschmack, kein Beschneiden künstlerischer oder kuratorischer Freiheit. Es beschreibt einen Prozess des Vermittelns, welcher über bloßes Erklären hinausgeht.“ Ein Weg soll das Mitnehmen von Menschen beim Produzieren der Kunstwerke, der Ausstellung und des Festivals insgesamt sein. „Gerade in kleinstädtischen Milieus gibt es einen anderen Umgang miteinander. Jeder kennt jeden. Wir glauben, dass es etwas mit den Bevölkerung macht, wenn die Nachbarin, der Kumpel vom Fussballverein oder die Mitschülerin konkret an Kunstwerken oder am Ausstellungsaufbau mitwirken. Bestenfalls multiplizieren sich diese Erfahrungen in der ganzen Stadtgesellschaft.“

Dem vorgeschaltet ist der Auswahlprozess. Bisher wählte eine Fachjury die Werke für die Ausstellung aus. Diese Fachjury soll es nun nicht mehr geben, vielmehr sieht sich das Begehungen-Team selbst als Teil des Demokratisierungsprozesses. „Unser Verein ist für einen Kunstverein eigentlich sehr ungewöhnlich und erstaunlich divers besetzt. Eine Hälfte ist über 30, die andere darunter. Fast paritätisch bei den Geschlechtern. Ein paar haben Germanistik studiert, andere was mit Medien, andere gar nichts. Es gibt Softwareentwickler, Booker, einen Koch und einen Autovermieter, eine Maskenbildnerin und einen Architekten. Bei uns sind weder Künstler*innen noch ausgebildete Kurator*innen noch Menschen mit einem dafür spezifischen Studienabschluss vertreten. Da haben wir unser Herz in die Hand genommen und gesagt: Wir suchen die Kunst jetzt selbst aus.“ Ergänzt wird diese Jury noch durch eine Person aus Thalheim.

Zum erweiterten Konzept gehört auch, dass schon bei der Ausschreibung die Künstler*innen dazu aufgefordert wurden, Werkideen einzureichen, die auf Beteiligung und Einbeziehungen des Ortes setzen. Abgeschreckt scheint das niemand zu haben. Erneut verkündet das Festival einen Bewerber*innen-Rekord. Fast 700 Werkideen aus mehr als 50 Ländern erreichten in diesem Jahr das Festival-Team. Bis Mitte Mai soll daraus eine Auswahl von 20 bis 30 Werken getroffen sein. Viel Arbeit für die selbsternannten Demokratisierer. Doch die geben sich entspannt: „Das Ganze ist natürlich auch ein Experiment. Es kann scheitern, vielleicht gehört das dazu. Aber wir hoffen natürlich, dass es funktioniert.“

Kunstfestival Begehungen, 11. - 21.8., Erzgebirgsbad Thalheim, begehungen-festival.de

Foto: Johannes Richter

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