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Wenn Marx‘ Füße nicht bocken und es mehr Frauenpower braucht: Unterstützt den Chemnitzer Geschichtsverein.
Wenn dich die Leute fragen, wo du herkommst, was sagst du dann? Dass du aus Chemnitz, der Kulturhauptstadt Europas, dem sächsischen Manchester oder vielleicht dem ehemaligen Karl-Marx-Stadt bist? Allein die verschiedensten Beschreibungsmöglichkeiten unserer Stadt sind der Inbegriff von Geschichte – und über die wissen Viele zu wenig.
Gerade im Kulturhauptstadtjahr ist das Interesse an Stadtführungen groß. Ein Spot, auf den vor allem die Tourist:innen natürlich immer scharf gehen, ist der Karl-Marx-Kopf an der Brückenstraße. Wenn man Leuten von auswärts eine Beschreibung gibt, sagt man meist, dass er an einer sehr breiten Straße gelegen ist und auch als das Aushängeschild von Chemnitz gilt. Aber habt ihr euch eigentlich mal gefragt, warum dort nur der Kopf steht oder die Straßenüberquerung fast ein halbes Leben dauert?
Ursprünglich sollte der Karl-Marx-Kopf eine riesige aufrechtstehende Kolossalstatue werden, die an der Brückenstraße thront und den Menschen schon von weitem ins Auge springt. Wie einige mit Sicherheit wissen, wurde das Monument 1971 eingeweiht – also in der DDR. Was viele aber nicht wissen, ist, dass der Künstler Lew Kerbel ursprünglich eine Ganzkörper-Kolossalstatue von Marx plante. Gemäß der damaligen Stadtplanung sollte ein Aufmarschplatz mit integrierter Gedenkstätte für Karl Marx den Kern der Innenstadt prägen. Daher dauert die Überquerung der Brückenstraße auch so lang – schließlich sollten sich hier viele Menschen versammeln können und gleichzeitig das Bild einer autofreundlichen Stadt propagiert werden. Und was hat das nun mit Marx‘ Füßen zu tun?
Tatsächlich waren die Füße der geplanten Ganzkörper-Statue das entscheidende Argument gegen die ursprünglich angedachte Umsetzung. Die Herausforderung bei der Konzeption der Statue bestand primär aus dem Bedürfnis, dass sowohl Marx als auch wichtige Parteimitglieder gleichermaßen während der Aufmärsche gesehen werden sollten – von allen Seiten und schon von Weitem. Immerhin sind Marx‘ Ansätze und Ideen der Grund der Namensgebung von „Karl-Marx-Stadt“. Da sich die Parteispitze im Falle einer Kolossalskulptur zwangsläufig an Marx‘ Füßen versammeln würde, könnten die Leute im Vorbeigehen allerdings unmöglich gleichzeitig in Marx‘ Gesicht schauen – was sie aber sollten. Lew Kerbel musste also das ursprünglich geplante Konzept ändern: Der Entwurf einer Kopf-Plastik wegen Marx‘ Ideen, die bekanntlich bei Menschen im Kopf entstehen, überzeugte schließlich. Daher befindet sich bis heute der 40 Tonnen schwere und sieben Meter hohe Kopf im Zentrum unserer Stadt.
Wo man so detailliert die abgefahrensten historischen Anekdoten erfahren kann? Beim Chemnitzer Geschichtsverein auf der Franz-Mehring-Straße 7, dessen Mitglieder das Interesse an Hintergrundwissen über die eigene Stadt vereint. Sie verfügen über ein großes Archiv voller Geschichten und stehen im engen Austausch mit Chemnitzer Museen. Dazu gehören beispielsweise das Schlossbergmuseum, das Industriemuseum, das Smac und viele mehr. Sie leisten einen erheblichen Beitrag, um ein tiefgehenderes Verständnis für die Stadt entwickeln zu können. Ihre Themenbereiche sind äußerst vielfältig und reichen von Stadtpersönlichkeiten, bis hin zur Bedeutung historischer Gebäude – kurzum: Der Verein weiß nahezu alles über Chemnitz.
Damit Chemnitz also nicht nur mit den üblichen Verdächtigen wie Richard Hartmann und Co assoziiert wird, verfolgt der Verein bewusst die Spuren noch unbekannter, aber wichtiger Stadtpersönlichkeiten. Und über wen ist die Forschung tendenziell weniger aussagekräftig? –Korrekt, es sind die Frauen. Frauen geraten in der Geschichte leider eher in Vergessenheit als Männer, da man sie in ihrer Gegenwart oftmals über den Ehemann definierte. Dieser war ihr rechtlicher und auch sonstiger Vormund, wodurch die Spuren weiblicher Individualität oftmals stark verwischt wurden.
Dabei gab es neben Marianne Brandt weitere wichtige Chemnitzerinnen, die heutzutage leider nur wenige kennen. Da wären zum Beispiel Marie Luise Pleißner oder Alice Glaser dringend zu erwähnen. Würde man sich in Chemnitz aktiv nach Gedenktafeln oder ihren Namen als solches auf die Suche begeben, könnte man früher oder später auf sie stoßen. Dafür müsste man sie jedoch erstmal kennen, um überhaupt ein Interesse gegenüber den Frauen aufbauen zu können.
Ohne den Geschichtsverein wäre ich wohl nicht über ihre Namen gestolpert: Auf Marie Luise Pleißners Namen stößt man, wenn man durch den gleichnamigen Park, den Marie-Luise-Pleißner-Park auf der Wartburgstraße spaziert. Sie wurde 1891 in Chemnitz geboren, arbeitete als Lehrerin und setzte sich während des ersten Weltkrieges für den Abbau von Bildungsungleichheit ein, was Mädchen 1908 den Zugang zu akademischer Ausbildung eröffnete. Pleißner kandidierte 1933 sogar bei den Reichstagswahlen als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei – alles Informationen, die völlig neu für mich waren.
Alice Glasers Namen kann man auf einem Stolperstein in der Clara-Zetkin-Str. 1 entdecken. Ihre Spuren führen laut Geschichtsverein in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück und reichen bis nach Dessau und Berlin. Ihre Familie gründete in Chemnitz zunächst die „Mäntel-Fabrik“, die sich schließlich zu einem großen Modehaus, dem „Spezialgeschäft für Damen- und Mädchen-Konfektion“ entwickelte. Glaser selbst studierte ab 1928 an der renommierten Bauhaus-Universität in Dessau, war Mitglied im jüdischen Frauenbund und maßgeblich an der Gründung des ersten jüdischen Kindergartens beteiligt. Ihre Geschichte ist ausführlich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Chemnitzer Roland“ nachzulesen, die der Verein dreimal im Jahr publiziert.
Mal ehrlich: Es ist ein Privileg, das jede:r nach Lust und Laune im Vereinsbüro Auskunft über alle möglichen Themen zur Geschichte der Stadt und deren Persönlichkeiten bekommen kann. Der Verein ist für unsere Stadt unersetzlich und hat definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient.
Text: Henni Henrion | Bilder/Dokumente: Bereitgestellt durch den Chemnitzer Geschichtsverein, v.a. "Wie wir es bauen - Agitationskommission der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt"