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Am leereren Ende des Sonnenbergs

Studenten bauen eigenes Wohnprojekt

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Der Leerstand in manchen Sonnenberg-Ecken ist dramatisch. Ein Wohnprojekt von 22 Studenten auf der Zietenstraße will diesen Leerstand beleben.

Die Zietenstraße am Sonnenberg ist quasi das Chemnitzer Detroit. Vor langer Zeit schon hat der Straßenzug am Südhang Bankrott angemeldet. Unkraut steht statt Bäumen am Gehweg, der sich an schmutzigen, leeren Häuserblocks entlang zieht. Der Statthalten e.V. hat vor gut drei Jahren begonnen, eine Straßengalerie in diese Leere zu bringen - "Bemalte Holzplatten in Fenster zu hängen ist erst einmal nichts weiter als kreatives Verbarrikadieren", schreibt der Verein. Nachdem die Straße fast komplett bebildert ist, hinterlässt auch dieser Anblick sehr gemischte Gefühle, ein schauriges ist auf jeden Fall dabei. Aber dieser Verfall von an sich schicken Altbauten in guter Wohnlage scheint inzwischen am Wendepunkt zur Wiederbelebung zu stehen. Zuerst gab es immer wieder Leuchttürme, die so ein bisschen Hoffnung weckten. Das ging los mit dem Projekt an der Kreuzung Augustusburger Straße, wo ein Kreativhaus samt Klubraumgalerie entstand und nachwievor super funktioniert. Zeitgleich öffneten Enthusiasten das Kaffeesatz auf der Zietenstraße wo sich inzwischen allabendlich auch Nachbarn und Zugereiste anderer Stadtviertel zu Veranstaltungen oder einem gemütlichen Bier einfinden. Und jetzt werkelt es plötzlich in einigen Häusern am Hang und jeder Hammerschlag löst ein großes Medienecho aus, weil den Institutionen nun Menschen folgen, die da wirklich wieder wohnen wollen.


Wie ein Wohnheim in schön


Dazu gehören auch die inzwischen 22 Studenten, die sich im "Sonnenwerk 21 e.V." zusammengefunden haben. Auf dem Sonnenberg sahen sie zunächst einmal Freiraum für eigene Ideen. Das Wächterhaus-Prinzip habe sie dabei sehr interessiert, sagt Jesper Bellenbaum vom Verein. Deswegen fragten die Studenten bei der Agentur Stadtwohnen nach, einem Projekt der Stadt Chemnitz, das Besitzer, Nutzer und Investoren auch abseits des üblichen Immobilienmarktes zusammenbringen soll. Das gelang. Ein Wächterhaus gab es zwar nicht, aber den Kontakt zu Lars Faßmann, dem neben besagtem Kreativhaus an der Kreuzung auch die Nummer 11 auf der Zietenstraße gehört. Man wurde sich schnell einig und bekomme nun eine Art Wächterhaus Deluxe, wie Sonnenwerkler David Friel es beschreibt: Zur Eigeninitiative der künftigen Mieter gibt es Geld für die Sanierung vom Besitzer. Gerade einmal drei Monate nach Gründung des Vereins, reißen die Mitglieder nun alte Tapete von dem, was bald ihre vier Wände werden sollen. Darin sei ein Wohnheim in schön geplant, meint Jesper Bellenbaum. Die Mieter sollen dann ihren eigenen Wohnraum haben, aber so, dass sich alle etwa in einer großen Gemeinschaftsküche immer wieder über den Weg laufen. Im alten Ladengeschäft im Erdgeschoss darf dann gern ein Kulturraum entstehen für Veranstaltungen oder Ausstellungen. Jetzt heißt es aber erst einmal viel Arbeit in das seit Jahren unbewohnte Haus zu stecken. Da müssen nicht nur die Tapeten runter, sondern auch neue Leitungen und Kabel rein, die Fenster frisch verkittet und vielleicht auch die ein oder andere Wand rausgerissen werden. Man wolle so viel wie möglich in Eigenarbeit machen, erklärt David Friel, und nur das nötigste den Profis überlassen.


Die Alternative zum Mittelmeer


Dass das verdammt viel Eigenarbeit ist, die sich die Studenten da vorgenommen haben, weiß Hausbesitzer Lars Faßmann. Er versuche, wie er sagt, realistisch darauf vorzubereiten, dass das Selbstsanieren einer Wohnung neben viel Zeit auch viel Arbeitswillen erfordere. Das sei auch eine Erfahrung aus anderen Projekten. Davon hat er schon einige befördert, die meisten am Fuß des Sonnenberges. Dort gibt es aktuell noch die drei Häuser an der Ecke Augustusburger, gegenüber vom Kreativprojekt. Hier gastieren nicht nur gerade die Künstler der Begehungen in liebevoll hergerichteten Unterkünften, sondern sie sollen auch künftig durch Ateliers und Wohnraum dauerhaft belebt sein. Dafür habe er auf historisch Korrektes sanieren geachtet – also das Gegenteil von dem, was man gemeinhin als Kaputtsanieren bezeichnet. Außerdem soll ein Coworkingspace bereits in zwei Monaten dort öffnen und flexiblen Büronomaden einen Arbeitsplatz mit Strom, Drucker und WLAN zur Verfügung stellen. Außerdem gibt es noch das Haus neben dem der Sonnenwerkler, in dem am wenigsten saniert wird – demnach eher alt-ernatives Wohnen. In mehreren Häusern könne man schließlich auch mehrere Ansätze probieren, meint Lars Faßmann pragmatisch. Seine Motivation? Mancher, sagt er, kaufe sich ein Haus am Mittelmeer, er eben welche auf dem Sonnenberg. Auch die Motivation des Sonnenwerk 21 scheint ziemlich altruistisch. Denn am Ende werden gar nicht alle momentan Beteiligten ein Zimmer für ihr Engagement beziehen, erklärt Josephine Rüprich. Manche sind dann bald mit ihrem Bachelor fertig, ziehen vielleicht weg – und von den 22 Studenten fänden ohnehin nicht alle Platz im fertigen Haus. Dass dem etwas Gedränge allerdings gut steht, zeigte sich Ende Juli, als im Obergeschoss eine kleine Installation Vernissage feierte. So viele parkende Autos, so viele Menschen auf der Straße hat die verwaiste Nachbarschaft lang nicht gesehen. Auch wenn es vielleicht gerade 30 waren, ist das ein Anblick, an den man sich auch abseits von Veranstaltungen wie Vernissagen und Begehungen gewöhnen könnte.


Text [&] Foto: Michael Chlebusch

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Erschienen im Heft 08/13

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