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Der Körper als Kunstwerk

It´s Modification Time

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Aua. Mit einem Skalpell wird an schönen Narben gearbeitet.

Eines konnte man sich immer sicher sein: Je höher die Temperatur steigt, desto vermehrt fallen die Hüllen. Im Übergangsbereich von adeliger Winterblässe zu gebrutzelter Haut, bedeutete dies früher vor allem viel weiß im Stadtbild. Doch dies hat sich grundlegend geändert.[nbsp] Heute dominieren Tattoos, Piercing und andere Formen des Körperschmucks. Und man ist durchaus überrascht, wer alles seinen Körper einer Veränderung unterzogen hat.

1. Exit On Mainstreet:

Die Europäer mögen wohl nicht schlecht gestaunt haben, als James Cook gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen tätowierten Insulaner namens Omai von einer seiner Reisen mit nach Europa brachte. Weniger verwunderlich ist es, dass die ersten einfachen Tattoo-Studios sich meistens in Hafengegenden ansiedelten und Seefahrer zu ihren ersten Kunden gehörten.

Das ist mittlerweile über 200 Jahre her und bereits zur Jahrtausendwende hatte in Deutschland jeder fünfte eine Tätowierung. Der bloße Umstand eine Tätowierung zu haben, ist demnach kein abgrenzendes individuelles Merkmal mehr. Hat dies einen Einfluss auf die Art der Tätowierungen und treibt es den Gedanken der bleibenden Körperveränderung in extremere Richtungen? „Tätowierungen sind gewissermaßen ein Popphänomen geworden, zu dessen Kehrseite gehört, dass viele einfach auch keine Ahnung haben und sich Sterne, Arschgeweihe oder irgendwas stechen lassen. Durch unsere Arbeitsweise entgehen wir diesen Trends, da wir keine pauschalen Tattoos machen. Der Kunde, der zu uns kommt, will eine individuelle Umsetzung seines Tattoos “, erzählt Gebbi, der das Tattoo-Studio „Gebbarts“ auf der Bergstrasse 50 betreibt und selbst seit 1998 tätowiert. Ähnlich sieht es Curly von „Heaven Of Coulours“: „Heute wird mehr Wert auf die künstlerische Handschrift gelegt. Der Kunde kommt zu dir, weil er etwas von Dir will und nicht weil du mehr Vorlagenhefter hast.“

Nicht viel anders verhält es sich beim Piercing mit all seinen Spielarten. Hatte ein Punk mit Anti-Hakenkreuz-T-Shirt und Stecknadel durchs Ohr noch eine gewisse Schockwirkung, ist auch diese Art des Körpertunings aus dem Rahmen relativ abgegrenzter Jugend-und Subkulturen, wie Punk, Hardcore, Techno, Emo herausgetreten und eine feste Größe im Mainstream-Straßenbild geworden. Manch einer rümpft vielleicht noch die Nase und in einigen Berufen hat man mit dieser Art des Körperschmucks wohl keine großen Karriereaussichten. Aber nicht alles, was gepierct ist, muss ja sichtbar sein. Wie verhält es sich aber nun mit krasseren sichtbaren Formen der Körpermodifikation?

2. Alles gar nicht so neu, nur anders:

Versucht man einen Überblick über die Herkunft des Tätowierens, des Piercings, des Cuttings oder Brandings* zu erhaschen, ist auffällig, dass in älteren Kulturvölkern neben ästhetischen Motiven häufig religiöse und teilweise auch Herrschaftsansprüche eine Rolle gespielt haben. So zeigt sich, dass beim Aufgreifen alter Techniken in neuem Gewand, sich selbst die Gründe für eine solche Prozedur wandeln und dabei noch lange nichts über die Motive der jeweiligen Person, die sich solch einer Prozedur unterzieht, gefunden ist. Einmal mehr stellt sich hier die Frage nach Freiwilligkeit, gesellschaftlicher Akzeptanz und den Konsequenzen.

„Schwierig das so zu verallgemeinern, sicher gibt es Leute die sich tätowieren lassen, weil das es eben viele Menschen gerade tun und dadurch die Akzeptanz steigt. Aber so verschieden die Leute sind, so verschieden sind auch die Beweggründe, weshalb man sich für ein Tattoo entscheidet“, meint Curly vom „Heaven Of Colours“. Ihre Partnerin Sindy merkt dazu an: „Was die Cutting- und Brandingsachen angeht, verhält sich das Ganze noch recht bedeckt. Sicher versucht jeder irgendwo noch eine weitere Stufe der Individualität für sich zu finden. Cuttings und Brandings sind noch nicht auf die `breite Masse´ übergeschwappt und sind gerade dadurch Ausdruck einer weiteren Steigerung des Körpertunings.“ Neben den bereits erwähnten Methoden der Körpermodifikation fallen in diesen Bereich auch Transdermals - bei dieser Art werden Silikonimplantate, Metallplatten, oder Microchips in den Körper eingebracht – und Splitting – wie der Name schon andeutet: hier geht es hauptsächlich um die Spaltung von Körperteilen, wie Zunge oder Penis.

Besonders intensiv mit extremeren Formen der Körpermodifikation befasst sich die so genannte „Modern Primitiv“-Bewegung. Gebbi merkt dazu lapidar an: „Es gibt immer Gestörte, die noch gestörter sind.“ Laut Curly und Sindy ist jedoch die Nachfrage in Chemnitz und Umgebung mehr als übersichtlich: „Hier kann man ganz klar sagen, dass das Angebot die Nachfrage bestimmt. Viele Kunden fragen mich oft nach der Bedeutung von Cutting oder Branding. Die meisten Leute haben noch nichts davon gehört. Uns sind im Umkreis keine weiteren Studios bekannt, die das Ganze anbieten.“

Jeder hat bekanntlich seine eigenen Grenzen. Und wenn man das Thema Körpermodifikation weiter greift, muss man ja nicht automatisch bei Exoskeletten, Neuromancer oder beim 6 Millionen Dollar Mann landen. Aber warum eigentlich nicht.

*Beim Cutting wird die Haut mit einen Skalpell „geritzt“, beim Branding wird eine bewusste Verbrennung der Haut herbeigeführt. Die anschließende Narbenbildung wird kontrolliert und bildet, wenn alles gesund läuft, ein hübsches Motiv.

Text: Chezz Foto: photocase.com/herschel



Erschienen im Heft 06/12


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