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Die prekäre Reserve

Universitäre Lehre als Billigjob

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Ohne sie würde an vielen Universitäten wohl nichts mehr gehen. Sie sind nicht angestellt aber sichern die universitäre Lehre indem sie Übungen geben und Seminare halten. Mitunter sehen sie dafür nicht mal einen Cent: Lehrbeauftragte und Privatdozenten bilden an deutschen Universitäten eine unabdingbare Reserve und sind zugleich das akademische Prekariat. Das ist auch in Chemnitz nicht anders. Wobei nicht alle Beteiligten mit ihrer Situation unzufrieden sind.

Lehrbeauftragte gehören zum nebenberuflich tätigen Personal an den Hochschulen. Sie stehen in keinem Dienstverhältnis mit der Hochschule. Zumeist verfügen sie deswegen weder über ein eigenes Büro noch über einen Mitarbeiterausweis, der ihnen zum Beispiel vergünstigte Mahlzeiten in der Mensa ermöglichen würde. Da Lehrbeauftragte nicht direkt angestellt sind, gelten für sie auch keine Tarifverträge. Zwar sind die geleisteten Unterrichtsstunden laut sächsischem Hochschulgesetz „angemessen“ zu vergüten, was das bedeutet, bleibt allerdings unklar. Zumeist, so Torsten Steidten von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), würden das die Hochschulen selbst regeln: „Da die Lehraufträge auch kaum ausgeschrieben werden, sind die Vergütungssätze auch nicht wirklich transparent.“ An der TU Chemnitz lag die Vergütung für einen Diplom-, Master- oder Magisterabsolventen, der einen Lehrauftrag annimmt, im Sommersemester 2010 bei 17 Euro für eine 45-minütige Einheit. Sprechstunden, Vorbereitungszeit oder die Zeit, die für das Korrigieren von Hausarbeiten und Klausuren anfällt, werden nicht honoriert.

Hoher Aufwand, miese Bezahlung
Wie viele Lehrbeauftragte und Privatdozenten an den deutschen Hochschulen arbeiten und wie groß ihr Anteil an der erbrachten Lehre ist, lässt sich kaum ermitteln. Ein GEW-Beitrag, der im April erscheint, beziffert die Zahl der Lehrbeauftragten an allen Universitäten im Bundesgebiet im Jahr 2007 auf etwa 30.600. Der Trend, so Steidten, gehe dahin, „dass wegen Stellen- und Mittelstreichungen die reguläre Lehre [...] durch Lehrbeauftragte erfolgt und dies eben in zunehmendem Maße Leute sind, die keine Stelle irgendwo anders haben und deshalb auf die Aufträge angewiesen sind.“

Die Hochschulen selbst hüllen sich zumeist in Schweigen. So erteilt auch der Pressesprecher der TU Chemnitz keine Auskunft zu diesem Thema mit der Begründung, es handele sich um Personalia. Einige Stichproben belegen aber die große Bedeutung der Lehrbeauftragten. So listet allein die Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sechs Lehrbeauftragte auf, von denen drei im Sommersemester Übungen oder Seminare abhalten. In anderen Fachgebieten geben Lehrbeauftragte auch einführende Übungen und sichern damit die Lehre – obwohl das laut Sächsischem Hochschulgesetz nicht erlaubt ist: „Zur Ergänzung [!] des Lehrangebotes, an Kunsthochschulen auch zur Erbringung des Lehrangebotes, können Lehraufträge erteilt werden.“, heißt es in Paragraf 66.

Ausbeutung als Chance?
Allerdings: Die Betroffenen sehen in den Lehraufträgen auch häufig eine Chance. Jens Wetzel hatte bisher drei Lehraufträge am Lehrstuhl für Internationale Politik der TU Chemnitz, ein weiterer folgt eventuell in diesem Sommersemester. Er wolle trotz seines Jobs außerhalb der Universität noch „im wissenschaftlichen Geschäft“ bleiben, deswegen habe er die Aufträge angenommen. Und das obwohl der zeitliche Aufwand ziemlich hoch sei: „Während des Semesters sitze ich dann drei, vier Stunden am Abend – und das jeden Tag –, um die nächsten Veranstaltungen vorzubereiten und Hausarbeiten oder Klausuren zu korrigieren. In der Woche kommt man so gut auf einen Halbtagsjob – und das ohne die eigentliche Veranstaltungs- und Sprechzeit.“ Zudem würden Lehraufträge zumeist sehr spät genehmigt, dadurch ginge wertvolle Vorbereitungszeit verloren. Trotzdem steht er Lehraufträgen an sich positiv gegenüber, sie seien für ihn eine persönliche Bereicherung. Dass der Stundenlohn in Anbetracht des zeitlichen Aufwands recht gering ist, sehe er nicht so problematisch „Auf jeden Fall sehe ich mich nicht als billige Arbeitskraft; vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich in anderer Weise durch meinen Job abgesichert bin.“

Birthe Siegert* hält Lehraufträge nur für Stipendiaten und Doktoranden für sinnvoll: „Sie sind gut, um ‚unverbindlich’ auszuprobieren, ob es wirklich der Job ist, den man machen will.“ Siegert promoviert gerade an der Philosophischen Fakultät und hat im vergangenen Semester ein Seminar an der TU Chemnitz gegeben. Der zeitliche Aufwand habe sich in Grenzen gehalten und die Arbeit habe ihr Spaß gemacht, deswegen ist sie auch weiterhin bereit, Lehraufträge anzunehmen. Allerdings sollten diese ihrer Meinung nach nicht auf promovierte oder Habilitierte ausgeweitet werden: „Lehraufträge, die von Promovierten gemacht werden, empfinde ich als Ausbeutung.“

Privatdozenten: Der Depp vom Dienst?
Ausbeutung ist sicherlich auch das, was manchem Privatdozenten (PD) widerfährt. Unter dem Titel werden in Deutschland Wissenschaftler geführt, die habilitiert wurden, aber keine Professur inne haben. Mit der Verleihung des Titels erwirbt ein PD das Recht, Vorlesungen und andere Veranstaltungen anzubieten. Oder die Pflicht. Um seine Lehrbefähigung aufrecht zu erhalten, müsse er auch ohne Honorierung unterrichten, berichtet Ulrich Martens*. Er lehrt als PD unter anderem an der TU Chemnitz. Sechs Stunden pro Woche inklusive Fahrt- aber ohne Korrekturzeit wende er pro Veranstaltung auf. Das alles ohne eine Gegenleistung: „Laut Gesetz darf ich dafür gar keinen Lehrauftrag annehmen, das heißt, ich mache es komplett umsonst und zahle die Kosten (Fahrt, Material usw.) selbst.“ In der Tat hält beispielsweise die Privatdozentenordnung der Philosophischen Fakultät der TU Chemnitz fest: „Privatdozenten sind verpflichtet, Lehre im Umfang von zwei Semesterwochenstunden je Fachsemester unentgeltlich zu halten.“ Mittlerweile, so Martens, würden die Universitäten den PDs mitunter sogar die Pflichtlehre verbieten, weil sie Angst davor hätten, dass man sich aus Lehraufträgen ein Dienstverhältnis ableiten könne. Nach mehreren Semestern Vertretungen und unbezahlter Lehre ist er vom Umgang mit gut ausgebildeten Akademikern in Deutschland enttäuscht: „Entgegen allen politischen Beteuerungen ist man als Privatdozent schlicht der Depp vom Dienst.“

* Namen auf Bitten der Betroffenen von der Redaktion geändert

Erschienen im 371 Stadtmagazin Heft 04/11
Text [&] Foto: Benjamin Lummer

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