⚠ Diese Webseite wurde nicht für Internet Explorer 11 optimiert. Wir empfehlen Mozilla Firefox , Microsoft Edge oder Google Chrome.

Anzeige
Das Web-App-Mag
Immer auf Tasche

Magazin

Gegen den Trend

Chemnitz sucht seine IT-Zukunft

Veröffentlicht am:

Die Chemnitzer IT-Branche wächst. Doch ihr droht ein Nachwuchsproblem, weil viel zu wenige Menschen an der hiesigen TU die Informatikstudiengänge abschließen.

Vor zwanzig Jahren wuchs eine Technologie in die Hände von immer mehr jungen Menschen, die zu Hause am PC bemerkten, was man mit ein paar Einsen und Nullen alles anstellen kann. Anstellen? Kann man damit alles! Smartphone, Smart-TV und Smart-Kühlschrank, das Zeug ist einfach überall. Und auch die Mütter dieser Tage sind kaum noch versucht, dem Sohnemann etwas ordentliches zu empfehlen, wenn er beschließt, seine Karriere am PC zu programmieren.

Die Zahl der Studienanfänger inklusive Fachwechsler lag laut Fachverband Bitkom in diesem Jahr Deutschlandweit bei über 52.000. Das ist erneut ein Anstieg und Bestwert nach 50.898 in 2012 und 48.423 in 2011. Allein die Wirtschaftswissenschaften und der Maschinenbau haben mehr Studierende und Studienanfänger. Das Fach hat sich im ganzen Land einen aufsteigenden Ast und hinten dran den grünen Zweig gesichert. Im ganzen Land? Ausgerechnet an der Chemnitzer TU wollen sich die Informatikstudiengänge nicht mehr so recht füllen. Um fast 25 % ist die Zahl der Studenten und Studentinnen im Vergleich zu 2003 zurückgegangen. Und schlimmer noch: 2012 haben gerade einmal 57 Menschen ein Informatik-Studium an der TU Chemnitz abgeschlossen. Zieht man jene ab, die ihre akademische Laufbahn weiter beschreiten, etwa einen Master oder eine Promotion anstreben, bleibt der Chemnitzer IT-Branche nicht mehr viel Personal, um das es sich im bundesweiten Wettbewerb zu behaupten gilt.

Nicht alles Code, was blinkt
Die Chemnitzer IT-Branche wächst, gedeiht und fühlt sich wohl im Vorerzgebirge. „Boden und Personal“ - sprich günstige Mieten und genügend gut ausgebildete Fachkräfte - so beschrieben mehrere Branchenvertreter anlässlich einer Diskussionsveranstaltung Anfang Dezember die Standortvorteile. Die Kundschaft der Chemnitzer Softwareunternehmen sitzen fast ausschließlich in Europas Großstädten, Asien und den USA. Im Moment, so der Tenor, sei es noch unproblematisch, genügend Personal zu finden, die Zukunft jedoch sieht düster aus. Die Studentin Sorniza Marinova verfasste unlängst an der TU Chemnitz eine Masterarbeit, in der sie u.a. die Firmenvertreter nach dem wahrscheinlichen Personalbedarf der Zukunft befragte. Hochgerechnet auf alle 220 Betriebe der Region entsteht bis 2017 ein Fachkräftebedarf von über 1.100 IT-Spezialisten und damit eine absehbare Lücke zwischen Angebot und Nachfrage.

Verschäft wird das Problem noch durch einen anderen Fakt: Hochrechnungen von Bitkom zufolge brechen 50 Prozent aller Informatiker ihr Studium ab. Abschreckend für viele, die tiefgehenden Lehrinhalte in Mathematik und Technik und Grundlagen, die seit Jahrzehnten unverändert gelehrt werden. Doch die Notwendigkeit für diese Grundlagen, und ein Verständnis dafür zweifelt kaum einer an. Michael Krug, Mitarbeiter der Professur Verteilte und selbstorganisierende Rechnersysteme sagt, dass Studenten teils mit falschen Erwartungen an das Studium heran gingen. Aber er gibt auch zu, dass Umfang und Präsentation der Inhalte vielleicht eines anderen Schwerpunktes bedürfen. Spannend findet er das Beispiel Mittweida, wo man das Informatikstudium um die Komponente Videospiel erweiterte und große überregionale Resonanz fand. An der TU sitzt bereits eine Arbeitsgruppe zusammen und überlegt, welchen Nerv man bei Schülern treffen muss, um die Informatikkurse der Uni zu füllen.

Masse und Kreativität
Mehr Masse, zeitgemäßere Studieninhalte und eine bessere Werbung für den IT-Unistandort Chemnitz scheinen also die Lösungen für das Problem zu sein. Ganz unvorbereitet trifft die IT-Firmen der Fachkräftemangel jedoch nicht. Schon jetzt ist Kreativiät bei der Personalsuche gefragt. „Wir haben bis auf einen Fall noch nie eine reguläre Bewerbung auf eine unserer Stellenausschreibung bekommen", sagt Maik Golomb, Geschäftsführer der BurgEins GmbH, die sich mit Apps, Frameworks und Webtechnologien um Kunden von Chemnitz bis New York kümmert. Seine Mitarbeiter sucht er sich deshalb anderswo - durch Hörensagen mit viel Glück. Darüber hinaus gibt Maik Golomb zu bedenken, dass die meisten Programmierer im Unternehmen ihr Studium nie abgeschlossen haben. Auch Martin Böhringer, Chef von Hojoki gibt zu, dass es schwierig ist, Mitarbeiter zu finden. Bei seinem Unternehmen, dass vor zwei Jahren mit einer guten Idee, prima Venture-Kapital und durchaus internationaler Aufmerksamkeit startete, arbeiten zwar fast nur Absolventen und Promovenden, aber auch einer sei dabei, der nicht einmal Abi gemacht habe, weil er eben lieber den ganzen Tag programmiert hat. Quereinsteiger sind in der Kreativwirtschaft seit jeher eine Art „stille Reserve“ bei der Stellenbesetzung.

Trotzdem: Mehr Studierende können Chemnitz nur gut tun, da sind sich die Branchenvertreter einig. Unter den Absolventen seien beispielsweise viel zu wenige Webentwickler, beklagt Maik Golomb, die Informatiker richteten ihr Interesse viel lieber andere Gebiete wie Robotik. Das Problem würde sich von allein lösen, meint Martin Böhringer, wenn einfach viel mehr Absolventen die Uni verließen, die sich auf die Schwerpunkte verteilen. Schwierig bleibt dann natürlich, diese in Chemnitz zu halten. Denn auch für eine Berufsgruppe, die im Ruf steht, aus dem Keller nicht herauszukommen, ist so ein Keller in Leipzig oder Dresden oft attraktiver. Ist das nun ein Problem der Firmen, deren Konditionen nicht attraktiv genug scheinen, der TU, die nicht genügen Masse macht oder des Stadtmarketings, das die Generation 2.0 in den letzten Jahren gern mit eigenen Kampagnen verspottete? Wahrscheinlich ein bisschen was von allem. Die gute Nachricht für Studienanfänger lautet: Die goldenen Zeiten für Informatikabsolventen sind noch längst nicht vorbei, vor allem in Chemnitz.


Text: Michael Chlebusch / Lars Neuenfeld Foto: photocase.de/hannesleitlein

[nbsp]

Erschienen im Heft 01/14

Zurück