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Es ist ein Politikum, das viele Politiker und Bürger für gewöhnlich mit der Kneifzange nicht anfassen mögen. Wenn in Einrichtungen für Asylbewerber in Deutschland etwas schief läuft, dann gibt es zwei Reflexe: Kleinreden und Eskalieren. In Sachsen rumort es schon seit einer Weile. Ausschreitungen im Chemnitzer Erstaufnahmeheim im März und Ende September machten Schlagzeilen, während Anwohner ihrerseits über die Unruhe klagen, die vom Heim ausgeht. Nun wird vermittelt.
Nach einem massiven Rückgang der Erstanträge auf Asyl in Deutschland seit Ende der 90er Jahre (von rund 128.000 in 1995 auf gerade einmal 19.000 in 2007) stieg die Zahl in den letzten vier Jahren wieder. Bis September dieses Jahres waren es bereits 74.000 Erstanträge von Menschen, die derzeit vor allem aus Tschetschenien und Syrien fliehen. Auch wenn im ersten Halbjahr am Ende nur 15 Prozent der Antragsteller als Flüchtlinge anerkannt wurden, so müssen doch zunächst alle Fälle geprüft werden. Im Durchschnitt dauere dies etwa sechs Wochen, erklärt die Chemnitzer Ausländerbeauftragte Etelka Kobuß. Während dieser Zeit werden Interviews geführt, Identitäten geprüft und Anträge gestellt. Untergebracht sind die Asylbewerber dabei in sogenannten Erstaufnahmeheimen. In diesen Einrichtungen, die den Ländern unterstehen, darf der Antragsteller höchstens drei Monate untergebracht werden, erst im Anschluss sind die Kommunen für die Unterbringung zuständig, während Behörden und Gerichte teils noch Monate mit der Überprüfung eines Falls beschäftigt sind. Erst hier wird die vieldiskutierte dezentrale Unterbringung in normalen Wohnungen möglich.
Überbelegung und individuelle Schicksale
Aufgrund der gestiegenen Antragszahlen, herrscht in den sächsischen Erstaufnahmeheimen seit Monaten Enge. In der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Innenministeriums werden gewissen Mindeststandards festgelegt: sechs Quadratmeter für jeden, maximal fünf Menschen in einem Zimmer, ein Herd, acht Benutzer und so weiter. Komfortabel klingt das nicht, doch mit der Überfüllung sei nicht einmal die Geschlechtertrennung aufrecht zu erhalten gewesen, so Etelka Kobuß, geschweige denn eine sinnvolle Teilung nach Religion oder Nationalität. Die Bearbeitung der Fälle verzögerte sich, eine Quarantäne wegen Windpocken tat ihr Übriges. Alleinstehende Frauen, Familien und Männer mit riesiger Gewalterfahrung kämen da zusammen, erklärt die Ausländerbeauftragte. Einige, die vielleicht nie gelernt haben, Konflikte auf andere Art zu lösen und deren Hemmschwelle nach Kriegserlebnissen entsprechend niedrig ist. Der Freistaat habe auf die Situation nicht früh genug reagiert, meint Kobuß. Und tatsächlich wurde erst im August mit einigen Wochen Verzögerung eine ehemalige Kaserne in Schneeberg zur Entlastung der Chemnitzer Einrichtung in Betrieb genommen. Die Reaktionen der dortigen Anwohner war erwartbar negativ. Dass Mitte Oktober hunderte Schneeberger mit der NPD marschierten, hat dennoch viele Außenstehende erschüttert. „Die Bürgerinnen und Bürger sind sehr wohl in der Lage, zu durchschauen, wenn ihre Anliegen politisch instrumentalisiert werden“, erklärt Frank Richter hingegen im DPA-Interview. Der Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung kümmert sich seit kurzem um die Vermittlung zwischen Bürgern und Land in der Causa. Und man hofft ihm glauben zu können, dass die Protestierenden „Bürger wie ich und du“ sind, die nicht aus Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gehen. „Die Anwohner müssen ernst genommen werden“, so sieht das auch Etelka Kobuß. Es reiche ja schon, wenn aus Langeweile einer im Heim den Knopf für den Feueralarm teste. Dann komme nicht nur ein Feuerwehrauto, sondern gleich eine Polizeiaufgebot nachts mit Blaulicht durch die Siedlung gefahren.
Reden statt Handeln?
Um die Situation in den Heimen zu entschärfen fordern Organisationen wie Pro Asyl oder die AG In- und Ausländer nicht nur eine würdige Unterbringung, sondern auch den Ausbau von Beratungsangeboten. Informationen erteilt die Chemnitzer AG den hiesigen Asylantragstellern zum Beispiel aktuell in einem Kleintransporter vor dem Heim, da sich das Land weigert, den Helfern Zutritt zum Objekt zu gewähren. Informationen über das wie und warum, so die allgemeine Ansicht, können das Bewältigen einer Situation erleichtern – auch für die Menschen außerhalb des Heims: „Die Bürgerinnen und Bürger wollen in Kenntnis gesetzt werden über das, was abläuft. Sie wollen die Hintergründe kennen und sie wollen auch ihre Sorge zum Ausdruck bringen“, sagt Frank Richter. „Die Menschen in Schneeberg sind in diese Situation gedrängt worden und hoffen auf Lösungen, die die NPD nicht bieten kann“, erklärt Kobuß die Lage. Vertreibung könne diese Lösung natürlich nicht heißen, denn Grundrechte dürften vor Ort nicht in Frage gestellt werden. Damit dies nicht geschieht, ist nach Ansicht des sächsischen Flüchtlingsrates eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema nötig: „Wenn die Landesregierung es versäumt, sich frühzeitig und umfassend mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich für eine humanere Aufnahmepolitik auszusprechen, besteht die große Gefahr, dass NPD und andere rassistische Akteure Erfolg mit ihrer Hetze haben“, schreibt der Rat in einer Stellungnahme. Es ist also keinesfalls geraten, das Thema weiterhin bestenfalls mit der Kneifzange anzufassen. In Schneeberg gründeten die demokratischen Parteien jetzt die Kampagne „Schneeberg für Menschlichkeit“. Ein Familienfest mit 600 Besuchern zum Auftakt und nun folgende Aufklärungsveranstaltungen wollen der NPD das Thema nicht überlassen.
Text: Michael Chlebusch
Erschienen im Heft 11/13