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Neue Uni-Bahntrasse transportiert auch Risiken

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Die modernen Städte bauten keine U-Bahnen mehr, sondern Straßenbahnen, hatte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig im Januar auf einer Studentenwerkstatt zum Thema Stadt der Wissenschaft gesagt. Straßenbahnen, die nicht nur in der Stadt, sondern auch im Umland fahren, hätte sie noch ergänzen können. Chemnitzer Modell heißt das Projekt, das seit mittlerweile mehr als zehn Jahren existiert und auch für die Zukunft mit großen Bauvorhaben aufwartet.

Im Kern geht es darum, das regionale Eisenbahnnetz mit dem Straßenbahnnetz zu verknüpfen, um ohne umzusteigen bis ins Stadtinnere fahren zu können. Vorreiter bei der Umsetzung dieses Vorhabens war die Stadt Karlsruhe. Bereits 1992 wurde in der badischen Großstadt die nach Angaben des Betreibers weltweit erste Zweisystemstadtbahnlinie in Betrieb genommen. Die Bahn wechselte dabei auf halber Strecke vom innerstädtischen Straßenbahnnetz ins Netz der Deutschen Bahn, eine Systemwechselstelle sorgte für den erforderlichen Wechsel der Stromsysteme. In mehreren Ausbaustufen wurden immer mehr Kleinstädte und Gemeinden im Karlsruher Umland an dieses Netz angeschlossen, mittlerweile werden 470 Kilometer Bahnstrecke mit den sogenannten Stadtbahnen befahren, die Fahrgastzahlen haben sich in Karlsruhe nach Angaben der Stadt versechsfacht.

In Chemnitz wurde die Verknüpfung von Stadt- und Regionalverkehr erstmalig im Jahr 2002 in die Tat umgesetzt. Bereits Mitte der 90er Jahre hatten Machbarkeitsstudien die Realisierbarkeit des Konzepts „Chemnitzer Modell“ bestätigt, nach sieben Jahren Planung und Bau wurde die Pilotstrecke Chemnitz – Stollberg im Dezember 2002 eröffnet. Ein Verbindungsgleis nahe der Wendeschleife Altchemnitz ermöglicht der Stadtbahn den Wechsel auf Eisenbahngleise.

Seitdem können Fahrgäste ohne umzusteigen mit der Linie 522 vom Stadtzentrum bis nach Stollberg fahren, für die 23 Kilometer lange Strecke benötigt die Regionalstadtbahn 49 Minuten. Anders als in Karlsruhe werden zudem in Chemnitz ausschließlich Niederflurfahrzeuge genutzt, durchgehend niedrige Bahnsteige erlauben problemloses Ein- und Aussteigen. Bauherr des Projekts ist der Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS), wesentlich daran beteiligt sind aber auch die städtischen Verkehrsunternehmen, wie beispielsweise die Chemnitzer Verkehrs-Aktiengesellschaft (CVAG). Die Pilotstrecke nach Stollberg war für den Zweckverband nur der Anfang, der VMS plant, das Chemnitzer Modell in fünf Ausbaustufen in den nächsten Jahren deutlich zu erweitern. Die erste Ausbaustufe „Einfahrt Chemnitzer Hauptbahnhof“ soll bereits 2013 abgeschlossen werden. Die Verlängerung der Straßenbahngleise bis in die Bahnhofshalle soll Fahrgästen aus Richtung Burgstädt, Mittweida und Hainichen die umsteigefreie Weiterfahrt ins Stadtzentrum ermöglichen. Die folgenden vier Ausbaustufen sehen vor allem die Anbindung umliegender Städte vor.

So soll im Norden Limbach-Oberfrohna an das Schienennetz angebunden, im Westen die stillgelegte Trasse Niederwiesa – Chemnitz-Hilbersdorf wiederbelebt werden. Zudem wird die Stollberger Pilotstrecke bis nach Oelsnitz im Erzgebirge verlängert. Für die Chemnitzer Studenten dürfte vor allem die zweite Ausbaustufe mit der Verbindung nach Thalheim interessant sein. Jens Müller, Abteilungsleiter Technik und Tarif beim VMS, beschreibt den Streckenverlauf folgendermaßen: „Die Züge dieser Strecke sollen im Bereich des Campusgeländes über eine Neubaustrecke entlang der Reichenhainer Straße bis zur Bernsdorfer Straße geführt und hier in das vorhandene Straßenbahnnetz eingebunden werden.“

Sollte die Streckenführung tatsächlich so realisiert werden, brächte das für die TU-Akademiker zwei Vorteile mit sich. Zum einen wäre der Campus direkt an den Regionalverkehr angeschlossen. Zum anderen böte eine Bahnverbindung in entgegengesetzter Richtung die Möglichkeit, den zu Stoßzeiten notorisch überlasteten Busverkehr zwischen Campus und Innenstadt zu entlasten. Ein Anliegen, auf das auch der Pressesprecher der CVAG Stefan Tschök verweist. Für ihn ist die Universität ein bedeutender Faktor bei der Durchführung lokaler und regionaler Infrastrukturprojekte: „Die TU Chemnitz mit ihren mehr als 10 000 Studenten, die in ihrer Mehrzahl Nutzer des öffentlichen Personalverkehrs in unserer Stadt sind, spielt bei der Weiterentwicklung des Chemnitzer Modells natürlich eine sehr wichtige Rolle.“ Der CVAG kommt es Tschök zufolge in den anstehenden Planungen auch darauf an, „den innerstädtischen Universitätsteil problemlos und in einem attraktiven Takt mit dem Campus auf der Reichenhainer Straße zu verbinden, da natürlich mit einer modernen Stadtbahnverbindung mögliche Kapazitätsengpässe der Omnibuserschließung so gut wie ausgeschlossen bleiben dürften.“

Die Kosten der einzelnen Ausbaustufen sind derzeit noch nicht abzuschätzen, auch kann der VMS noch keine Termine für die Inbetriebnahmen der neuen Streckenabschnitte nennen. Ebenso unklar sind momentan die Folgen der besseren Anbindung des Umlands an die Stadt auf das Wohnverhalten Chemnitzer Studenten. Die TU Chemnitz ist eine Regionaluniversität, ein Großteil der Studenten stammt aus dem Umland, viele von ihnen pendeln täglich. Bei der Entscheidung, eine Wohnung in Chemnitz zu mieten, spielt sicherlich auch die verkehrstechnische Anbindung eine Rolle. Sollte sich diese im Zuge des Chemnitzer Modells verbessern, dürften sich einige Studenten mehr gegen eine Wohnung in Chemnitz und für das tägliche Pendeln entscheiden.

Die städtischen Vermieter, für die Chemnitzer Studenten nach eigenem Bekunden eine sehr wichtige Zielgruppe sind, teilen diese Befürchtung allerdings bisher nicht. Sowohl die Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft m.b.H. (GGG) als auch die Chemnitzer Allgemeine Wohnungsbaugenossenschaft eG (CAWG)[nbsp] begrüßen das Chemnitzer Modell. Pressesprecher Erik Escher zufolge sieht die GGG im Chemnitzer Modell „viel mehr die positiven Aspekte als Sorgen und Nöte“, ob es dadurch weniger Zuzüge gebe, ließe sich noch nicht abschätzen. CAWG-Pressesprecher Daniel Pfaff erfreut vor allem die Anbindung des Campus, negative Auswirkungen befürchtet er nicht und ist sich sicher: „Die Leute, die jetzt herziehen, werden das dann auch noch machen, weil das Leben in der Stadt ein anderes als das auf dem Land ist.“

erschienen im Heft 04/2010,
Text:Benjamin Lummer, Foto: Photocase.de/marqs

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