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Sehr guter Film

"Dicke Mädchen" im Weltecho

Veröffentlicht am:

Am 15. November 2012 feiert der Film „Dicke Mädchen“ seinen Kinostart, am 24. November ist Chemnitz-Premiere im Weltecho. Es ist ein sehr guter Film. Das ist zunächst nicht unbedingt wertend gemeint, denn „Dicke Mädchen“ ist eine Produktion der „Sehr gute Filme GbR“, die von Axel Ranisch, Heiko Pinkowski und anderen ins Leben gerufen wurde. Das Besondere dabei: Der Film entstand quasi ohne Budget. Wie so etwas geht und was es bewirkt, wollten wir genauer wissen. 371 erwischte Regisseur Axel Ranisch und das Darsteller-Team Heiko Pinkowski, Peter Trabner und Ruth Bickelhaupt bei einer Autobahnfahrt während ihrer Quer-durchs-Land-Tour am Telefon. Regisseur Ranisch und Schauspieler Heiko Pinkowski standen Rede und Antwort.

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371: Ihr habt ja für „Dicke Mädchen“ nur 517 Euro ausgegeben...

Axel: (lacht) Und 32 Cent!

371: Das ist sehr wenig für eine Filmproduktion. Konntet oder wolltet ihr nicht mehr ausgeben?

Heiko: (lacht) Wir brauchten so viel!

Axel: (lacht) Einige Filmemacher, die ich kenne, ärgert es, dass ich diese Zahl immer nenne. Sagen wir mal so: Der Film brauchte so viel. Wir hätten ihn gern mit weniger gemacht. Eigentlich wollten wir ja gar nichts ausgeben. Wir wollten das durchziehen und einen Film machen, der gar kein Geld kostet, wo wir auch alle mal richtig die Sau raus lassen konnten und die Schauspieler vor der Kamera machen konnten, was sie wollten. Und eben auch mal Sachen ausprobieren konnten, die sie sonst nicht machen.

371: Handelt es sich noch um einen Low-Budget-Film oder schon um einen No-Budget-Film?

Heiko: Es ist ein No-Budget-Film. Wir hatten ja kein Budget.

Axel: Also die 500 Euro, die wir ausgegeben haben, sind in die Mini-DV-Kasetten geflossen, in ein gemeinsames Frühstück und eine Tankfüllung.

371: Wie lange dauerten denn die Arbeiten am Film?

Heiko: Also wir haben tatsächlich in 10 Tagen gedreht. Das heißt, über zwei Wochen ungefähr.

Axel: Ja, so zwei, drei Wochen.

Heiko: Und der Axel hat das nach dem Dreh gleich geschnitten, so dass wir morgens vor dem Dreh angucken konnten, was wir schon gemacht hatten. Wir haben ja alles aufeinander aufbauend immer weiter gedreht.

Axel: Genau, wir haben chronologisch gedreht und abends bin ich mit dem Material nach Hause und hab das zusammen gehackt.

Heiko: Und von der ersten Idee bis zum fertigen Film sind genau drei Monate vergangen.

371: Wow, chronologisch gedreht... das ist heutzutage selten. Wie lief das genau?

Axel: Wir hatten einen Szenenablauf von etwa zwei Seiten. Da war eigentlich nur grob der Inhalt gegeben. Was dann genau passiert, das haben wir alles improvisiert. Es gibt zum Beispiel eine Szene am See, da steht als Inhalt im Drehbuch: „Sven und Daniel fahren an einen See und haben Spaß“. Die geht ungefähr 10 Minuten und ist eine sehr schöne Szene geworden, finde ich. Es sind wirklich sehr viele Ideen intuitiv beim Filmen entstanden.

371: Ihr habt ja die „Sehr gute Filme GbR“ gegründet. Im „Sehr guten Manifest“, das die Grundsätze eurer Produktionsfirma zusammenfasst, steht auch, dass die Intuition beim Filme machen das wichtigste ist.

Axel: Sie ist das absolut wichtigste. Und viel zu oft wird sie irgendwie eingeschränkt. Etwa durch Drehbücher. Oder wenn Filme nachbearbeitet werden. Oder dramaturgisch: wenn jedes kleinste Detail schon vorher geplant ist. Da bleibt dann wenig Freiheit. Das wollten wir anders machen: Wir haben einfach auf unser Bauchgefühl gehört.

371: Roger Corman, der König des Low-Budget-Kinos, nannte es asozial, ein Filmbudget von 30 Millionen Dollar zu verbraten. Das war Anfang der 1980er und er bezog sich auf den dritten „Star Wars“-Film. Glaubt ihr auch, dass heutige Spielfilmbudgets viel zu hoch sind?

Axel: Das ist schwer zu sagen. Es gibt Regisseure, die brauchen Hunderttausende Euro, um sich überhaupt als Regisseure zu fühlen. Ich hätte auch gern ein bisschen Budget für meine Filme, damit ich die Schauspieler usw. bezahlen kann. Aber wenn ich jetzt 15 oder 20 Millionen da liegen hätte, wüsste ich im Grunde gar nicht, wofür ich so viel Geld ausgeben sollte. Und dann stellt sich auch die Frage: Wenn es um das Produkt geht, sind diese Ausgaben gerechtfertigt? Es ist sicher gerechtfertigt, dass so viele Leute beschäftigt werden, die sind dann nicht arbeitslos usw. Und wenn der Film viel einspielt, ist das für den Produzenten natürlich auch erfreulich, dann kann er alle bezahlen und auch wieder andere Filme machen. Das ist aber nicht die Art von Filmen, die wir machen. Bei uns steht das Produkt selbst im Vordergrund, anstatt die Frage, wie teuer man das dann verkaufen kann. Das Problem ist, dass es in Deutschland viel zu sehr ums Verkaufen geht. Du begibst dich in die Arme eines Fernsehsenders, wenn du einen Film produzieren willst und damit in die Abhängigkeit von der Quote. Der Spielraum für die eigene Kreativität ist da oft eingeschränkt. Das Schöne an „Dicke Mädchen“ ist, dass es für mich eine Art Befreiungsschlag war. Der Film ist wirklich 100% Axel Ranisch. Und gerade weil wir kein Budget hatten, hatten wir vollkommenen Freiraum und konnten machen was wir wollten.

371: Heiko, du hast ja auch schon in aufwendigeren Produktionen wie dem Tatort oder beim Polizeiruf mitgewirkt. Wie war für dich dieser Kontrast, in „Dicke Mädchen“ zu spielen?

Heiko: Es war für mich das gleiche wie auch für Axel: ein großer Befreiungsschlag. Wie wenn ein Korsett von mir genommen wurde. Es war großartig. Sonst wird ja nur abgefragt. Es wird vorausgesetzt, dass man gewisse Dinge spielen kann und dann wird das abgerufen. Aber bei Axel – bei allen Filmen, die ich mit Axel gemacht hab, wir haben ja schon einiges gemacht – ist das anders. Da hab ich das teilweise wirklich gefühlt, was ich gespielt habe. Ich habe sogar geweint. Und ganz dolle gebrüllt.

Axel: Ich finde, dass man als Regisseur den Schauspielern unheimlich große Geschenke machen kann, wenn man das Drehbuch knapp hält und ihnen viel Freiraum für Improvisation gibt. In unseren Filmen geht es darum, solches Potenzial auszuschöpfen.

371: Im „Sehr guten Manifest“ erfährt man auch, dass nach „Dicke Mädchen“ noch viel mehr „Sehr Gute Filme“ kommen sollen. Gibt es schon Pläne für euren nächsten Film?

Axel: (lacht) Allerdings, es kommen auf jeden Fall weitere Filme. Einen haben wir schon abgedreht. Das ist ein Märchenfilm geworden. Der ist momentan in der Postproduktion, wir wissen auch noch nicht genau wie lang er wird. Er ist aber wieder mit einer ähnlichen Besetzung.

371: Bald kommt ihr ja auch nach Chemnitz. Heiko, du hast hier schon einmal gedreht, richtig? Für welchen Film war das?

Heiko: Das war mit Olaf Held (der Regisseur von „Roadcrew“, Anm. d. Red.). Der Film heißt „Vatertag“. Ich habe einen Bauarbeiter gespielt. Da haben wir sogar in diesem Kino gedreht, wo wir auch hinkommen.

371: Im Weltecho?

Heiko: Genau! Da saß ich die halbe Nacht vor diesem Schild und dachte, was heißt denn das? „Wel-Techo“? Bis ich nach Stunden irgendwann bemerkte, dass es „Welt-Echo“ bedeutet.

371: Und hat dir Chemnitz gefallen?

Heiko: Ja.

Axel: Meine Oma Ruth Bickelhaupt, unsere Hauptdarstellerin, kommt von da! Genauer gesagt ist sie gebürtige Limbacherin. Olaf Held ist ja eigentlich auch Limbacher...

(fragt Frau Bickelhaupt): Oma, wann warst du eigentlich das letzte Mal da?

Ruth Bickelhaupt: In den 60er Jahren.

Heiko: Oh das ist lange her! Da hat sich ja mittlerweile schon einiges verändert... Ich habe Chemnitz damals durch Olaf kennengelernt. Er kennt ja jede Menge nette Leute dort, von daher wurde es nicht langweilig. Ich fand es wirklich sehr angenehm.

371: Hoffentlich wird es euch bei eurem Tourstop im Weltecho hier genauso gut gefallen. Habt vielen Dank für das Gespräch. Bis bald und allzeit gute Fahrt!

Axel: Wir haben zu danken.

Heiko: Kein Problem, bis bald!

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Der Film „Dicke Mädchen“ handelt von Liebe. Liebe zwischen den Geschlechtern und Generationen. Die Mädchen aus dem Titel sind eigentlich zwei Männer. Sven (Heiko Pinkowski), der mit seiner an Demenz erkrankten Mutter Edeltraud (Ruth Bickelhaupt) zusammen lebt, arbeitet tagsüber in einer Bank. Während der Arbeitszeit kommt Daniel (Peter Trabner) in die Wohnung und passt auf Edeltraud auf. Eines Tages sperrt Edeltraud Daniel beim Fensterputzen auf dem Balkon aus und macht sich alleine aus dem Staub. Die beiden Männer gehen auf die Suche nach ihr. Was sie finden, ist aber nicht nur Edeltraud, sondern eine zarte Zuneigung zueinander, die ihr Leben gehörig durcheinander bringt.

24.11. / 20:00 / Weltecho

Regisseur Axel Ranisch und das Darsteller-Team Heiko Pinkowski, Peter Trabner und Ruth Bickelhaupt sind zur Premiere anwesend.


Erschienen im Heft 11/12

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